Debüt für einen Ahnungslosen

Heute beginnt die Saison in der NFL Europe. Für Sebastian Schneider ist es die erste Spielzeit als Profi-Footballer. Der 2,02-Meter-Hüne, der im Trikot von Berlin Thunder aufläuft, war bis vor kurzem noch als Basketballer aktiv

BERLIN taz ■ Das Wörtchen „Hit“ hat viele Bedeutungen. Der Langenscheidt übersetzt es mit „Schlager“, „Drogeninjektion“, „Treffer“ oder „Hieb, Schlag“. Es ist diese letzte Konnotation, die Sebastian Schneider zu schaffen macht. Denn Schneider ist Football-Profi und zur Jobbeschreibung gehört es, dass man möglichst unsanft aufgehalten wird. Das wird dann Hit genannt. „Da warte ich noch drauf“, sagt er.

Lange wird er nicht mehr warten müssen. Heute beginnt für den Football-Profi Schneider der Berufsalltag. Sein Club Berlin Thunder startet in Amsterdam in die neue Saison der NFL Europe. Schneider trägt die Nummer 86 und das Wissen mit sich herum, dass er vom Football „immer noch keine Ahnung“ hat.

Denn Sebastian Schneider ist kein gewöhnlicher Football-Profi. Der 25-jährige Berliner hat im vergangenen Sommer zum ersten Mal in seinem Leben Football gespielt. Zur ersten Trainingseinheit bei den Berliner Adlern hatten ihn Freunde überredet. Anschließend hat er sich gefragt: „Das soll Spaß machen?“ Dann hat er sich eine Muskelfaser gerissen. Ein paar Monate später lud ihn die NFL ins Trainingslager nach Florida. In Tampa befanden die Trainer, dass der Modellathlet Talent habe. Dass Schneider kein Bewegungsidiot ist, hatte er bereits im Basketball demonstriert, wo er es bis zum Zweitligaspieler und Jugendnationalspieler gebracht hatte.

Noch bis Dezember spielte er Basketball, allerdings eher zum Zeitvertreib bei einem Viertligisten, als sich plötzlich die Chance auf eine neue Karriere eröffnete. „Aber ich baue meine Zukunft nicht auf Football auf“, sagt er, „ich will erst mal sehen, wie sich die Saison entwickelt.“ Die beginnt nun nach vier Wochen hartem Training in Florida, wo die Verantwortlichen „viel Geduld“ mit ihm bewiesen haben. Dafür musste er neben den Trainingseinheiten und den vielen Meetings auch noch zusätzliche Schichten schieben im Kraftraum. Denn seine 2,02 Meter sind zwar ideal für einen Tight End, aber weil der nicht nur hin und wieder einen Pass fangen muss, sondern auch gegnerischen Verteidigern den Weg zum eigenen Quarterback versperren soll, ist der eher schmale Schneider nicht kräftig genug. 15 Kilo Muskelmasse soll er zulegen. „Es ist ein 24-Stunden-Job“, ächzt er.

Im NFL-Europe-Jargon wird Schneider als „Crossover-Athlet“ geführt. Im vergangenen Jahr stand ein Rugbyspieler im Kader. Man bemüht sich, solche Spieler aufzubauen, und hofft, damit die aufgrund einer fehlenden Football-Tradition hierzulande nicht allzu große Nachwuchsbasis erweitern zu können. Denn die ist nötig: Zur nächsten Saison könnte die Liga um zwei weitere Teams auf insgesamt acht erweitert werden. NFL-Funktionäre waren bereits zu Gesprächen in Hannover und Leipzig. Sollte mit Schneider bewiesen werden, dass Basketballspieler umgeschult werden können, ließen sich womöglich auch jüngere Talente für das Spiel begeistern, das mittlerweile selbst in den USA Nachwuchssorgen kennt, wo Mütter ihre Kinder lieber zum vergleichsweise ungefährlichen Soccer schicken.

Im Training sieht man Schneider das fehlende Spielverständnis und die mangelnde Erfahrung an. Und den Respekt vor den Kollegen: Es kommt vor, dass Schneider einen Pass fängt, und sich sofort ohne Einwirkung des Gegners zu Boden wirft, anstatt noch einige Yards herauszulaufen. Das mag angesichts 140 Kilo schwerer Verteidiger, die auf einen zustürzen, eine verständliche Reaktion sein. Für einen Football-Profi ist ein solches, von der Vernunft geleitetes Verhalten geschäftsschädigend. „Ich muss noch lernen“, weiß Schneider selbst, „mich aufs Fangen zu konzentrieren und keine Angst vor dem Hit zu haben.“

Das wird er, glaubt Don Eck. Der ist ungefähr dreimal so breit wie Schneider, ist sein Vorgesetzter und sagt: „He will get better.“ Als Offensive Coordinator entwirft Eck die Angriffsspielzüge und studiert sie mit seinen Spielern ein. Sebastian heißt bei ihm „Säbäschtiän“ und genießt eine Sonderstellung. Es ist nicht zu erwarten, dass Schneider allzu viel Spielzeit erleben wird in dieser Saison. Tatsächlich könnte es sein, dass Eck ihn gar nicht im Angriff einsetzt, sondern nur mit den Special Teams aufs Feld schickt. Denn zum einen hat Thunder einige gute Tight Ends im Kader. Und zum anderen könnte Schneider den Ausflug in ein ernsthaft geführtes Spiel womöglich nicht gut bekommen. Aber: „He will get better“, sagt Don Eck noch einmal. Er muss. Denn der erste Hit, der kommt bestimmt. THOMAS WINKLER