die taz vor 12 jahren zum tod von walter janka
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Freunde verlieren heißt einsam werden in der Welt. Noch dazu in einer Welt, in der eher Feindschaft sich auszahlt als mitmenschliches Verstehen, als eine politische Unterschiede überbrückende Sympathie. Der Satz „Walter Janka war mein Freund“ würde die Tatsächlichkeit einschränken. Walter und Lotte Janka, das unter den widersinnigsten und widerwärtigsten Umständen unzertrennliche Paar (nämlich in der Emigration und unter dem DDR-Ausnahmezustand) waren unsere Freunde, die meiner Frau wie die meinigen. Ich kenne Walter Janka seit langem; wir haben nach seiner Entlassung aus der Haft eines Staates, dessen nostalgisches Image er nicht begriff, miteinander verkehrt, wir haben Briefe gewechselt, und ich habe ihn immer wieder gedrängt, seine Erinnerungen zu schreiben, und mich wie der Zöllner in Brechts Taoteking-Gedicht benommen, denn Walter Janka hat sein Schicksal schriftlich der Nachwelt erhalten. Er gehörte zu jener kleinen Schar aufrechter und integrer Kommunisten, die, auch gegen das Funktionärspack, ihre Ehrlichkeit und Anständigkeit behielten und sich nicht korrumpieren ließen. Er besaß eine Gradlinigkeit und eigenen eisernen Willen zur Kompromißlosigkeit, der bewundernswert war und der den meisten Genossen seiner Generation fehlte. Aus ärmsten Verhältnissen stammend, gab es für Janka keine andere Wahl als den Sozialismus, um, wie er hoffte und glaubte, die Menschen ein bißchen humaner, ein bißchen moralischer, ein bißchen gebildeter zu machen. Diese Hoffnung, über die wir freundschaftlich miteinander stritten, hat er bis zum Schluß nicht gänzlich aufzugeben vermocht. Würden wir an ihm seine DDR-Zeitgenossen messen, wir müßten angesichts all der Jämmerlinge resignieren. Wenn es statt der 100.000 Spitzel und Stasi-Schurken nur 1.000 Jankas gegeben hätte – es hätte mit jenem zweiten deutschen Staat besser gestanden und mit dem vereinigten sowieso.

Günter Kunert, 18. 3. 1994