„Unser Stammpublikum ist weggezogen“

BUCHHANDEL In Prenzlauer Berg verschwindet nach der Kollwitzbuchhandlung nun auch die Krimibuchhandlung „totsicher“. Der Kiez werde sich bald in ein totes Wohnviertel verwandelt haben, fürchten die Buchhändlerinnen Grit Burkhardt und Antje Gardelegen

■ Die Macherinnen: Grit Burkhardt (geboren 1972 in Rostock) ist gelernte Buchhändlerin. Antje Gardelegen (geboren 1974 in Ostberlin) ist gelernte Erzieherin. Sie trafen sich beim Studium der Museologie, das beide 1998 bis 2002 absolvierten. Nach dem Diplom eröffneten sie 2004 den Buchladen „totsicher“.

■ Der Umzug: Am Samstag, 17. August, 10 bis 16 Uhr, verabschieden sich die Buchhändlerinnen von ihren alten Kunden, mit Bowle und Keksen, Winsstraße 16, Prenzlauer Berg. Am Samstag, 7. September, begrüßen die beiden ihre neuen Kunden in der Margaretenstraße 2, Lichtenberg.

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Frau Burkhardt, Frau Gardelegen, Ihre Krimibuchhandlung heißt „totsicher“, der Name hat sich aber nicht als Omen erwiesen. Sie müssen Ihren Standort aufgeben. Warum?

Grit Burkhardt: Wir erleben jetzt schon den zweiten Besitzer dieses Hauses. Mit ihm kamen kurze Mietverträge, zuverlässig Mieterhöhungen und jährlich angedrohte Sanierungen, die dann nie stattfanden.

Liegt Ihr Umzug also vor allem am Mietvertrag?

Burkhardt: Nicht nur. Ich muss ein bisschen ausholen. Ich habe kurz vor und nach der Wende meine Buchlehre gemacht und auch danach, als ich Museologie studierte und an der Uni Antje kennenlernte, in Buchläden gejobbt. Die Neunziger waren hier im Buchhandel eine goldene Zeit. Die Leute haben Bücher gekauft wie verrückt. Sie hatten einen unheimlichen Nachholbedarf.

Gardelegen: Auch als wir hier vor neun Jahren angefangen haben, kauften die Leute noch mehr Bücher. Wir kannten im Winskiez unzählige Leute. Die haben uns sehr unterstützt.

Burkhardt: Wir kennen den Kiez schon ganz lang, denn bereits vor der Eröffnung dieses Buchladens haben wir hier gekellnert. Unsere Kunden suchten im Internet, bei Dussmann oder Thalia nach ihren Büchern, und dann gaben sie uns am Telefon die ISBN-Nummern durch, damit wir sie bestellen konnten.

Was passierte dann?

Burkhardt: Unsere Umsätze gingen stetig zurück. Irgendwann haben wir uns hingesetzt und überlegt, warum das so ist: Unser Stammpublikum ist Stück für Stück weggezogen.

Gardelegen: Und neues Stammpublikum ist leider nicht nachgezogen.

Wie unterscheidet sich denn die neue Klientel im Kiez von der alten?

Burkhardt: Noch vor fünfzehn Jahren war das hier eine Gegend für Studenten. Es gab viele WGs. Unsere Kunden waren die, die Anfang der Neunziger nach Berlin gekommen sind, nicht sehr viel Geld hatten, aber irgendwas Kreatives machen wollten.

Wo sind diese Leute abgeblieben?

Burkhardt: Die meisten sind nach Weißensee gezogen, nach Pankow oder Niederschönhausen. Viele sind auch beruflich nach Hamburg oder Köln gegangen, einige sogar zurück zu ihren Familien nach Brandenburg oder Süddeutschland.

Und was sind das für Leute, die mittlerweile an Ihrer Buchhandlung in der Winsstraße vorbeigehen?

Burkhardt: Ich denke, die wollen es schick und modern, nicht mehr so dieses Eigene, Charmante, Selbstgemachte wie bei uns.

Wie kommt das?

Burkhardt: Die Gegend hat sich in den letzten zwei, drei Jahren noch einmal wegen der Verkäufe der Häuser und der Wohnungen sehr stark verändert. Ich habe auch den Eindruck, dass viele Engländer, Italiener und Spanier ins Viertel kommen. Die kaufen hier Wohnungen, die leben auch hier. Ich finde das wunderbar, aber diese Leute kaufen eben keine Krimis bei uns.

Fällt der Abschied schwer?

Burkhardt: Wir wären sehr, sehr gern geblieben.

Gardelegen: Es ist sehr schwer. Man kennt jeden, grüßt jeden, kennt viele Geschichten.

Burkhardt: Man gibt die Päckchen raus. Dafür bekommt man mal eine Flasche Wein oder macht abends noch einen Schwatz gegenüber an der Bar. Man redet, wie’s auf Arbeit war. Es wird gerade sehr sentimental. Und es ist schön, so eine Resonanz zu bekommen. Gestern habe ich sogar ein hier bei uns gekauftes Buch signiert, zum Abschied.

Ist es denn so schlimm, wenn sich der Kiez verändert?

Gardelegen: Vielleicht nicht schlimm, aber auf alle Fälle langweilig. Diese Straße wird eher wie ein totes Wohnviertel werden, mit Büros und Arztpraxen. Und in den Querstraßen, wo mehr Leute von einer Straßenbahn zur anderen laufen, da wird es immer mehr Cafés geben. Und die werden sich immer mehr gleichen. Wie ein Ei dem anderen.

Es heißt ja, dass kleine, spezialisierte Buchhandlungen trotz der Krise des Buchhandels größere Überlebenschancen haben als die großen. Was haben Sie denn falsch gemacht?

Burkhardt: Ich bin mir ganz sicher, dass die Leute, die noch Bücher kaufen wollen – und das sind durchaus noch ein paar –, dass diese Leute die persönliche Bindung wollen. Die wollen ins Gespräch kommen, die wollen wissen, was man in letzter Zeit selbst gelesen hat, die wollen sich austauschen. Das kriegen sie weder bei Thalia noch bei Amazon. Deshalb muss der kleine Buchladen empfehlen und zuhören können. Man muss sich abheben. All das haben wir gemacht.

Und was haben Sie vergessen?

Burkhardt: Bei der Wahl unseres Standorts haben wir nicht so einen rasanten Wechsel des Straßenbildes mit bedacht. Es gibt hier keine S-Bahn-Station, keine Laufkundschaft – und darum waren wir von den Stammkunden zu abhängig. Außerdem: Nach neun Jahren kommen hier immer noch Leute rein und wollen wissen, ob sie hier nur Krimis oder auch andere Bücher bestellen können. Das hätten wir vielleicht anders kommunizieren sollen.

„In den Querstraßen, wo mehr Leute von einer Straßenbahn zur anderen laufen, da wird es immer mehr Cafés geben. Und die werden sich immer mehr gleichen“

Wie denn?

Gardelegen: Wir hatten schon ein richtiges Konzept ausgearbeitet, wollten zusätzlich einen kleinen Cafébereich reinnehmen, so dass man besser ins Gespräch kommt – aber so etwas macht man eben nicht, wenn man eventuell im nächsten Jahr rausmuss. Es ist zu riskant, Unmengen von Geld zu investieren.

Wie sind Sie auf den neuen Standort in Lichtenberg gekommen?

Burkhardt: Verlagsvertreter haben uns auf Lichtenberg aufmerksam gemacht. Sie meinten, da habe sich eine gute Szene angesiedelt – und die Gegend sei total unterversorgt mit Buchläden. Uns war wichtig, dass wir uns nicht zwischen zwei Buchläden setzen. Darauf hatten wir keine Lust.

Und dann?

Burkhardt: Dann haben wir uns dort eine Weile auf den Bürgersteig gesetzt und geguckt, was da für Leute unterwegs sind. Eine erfrischende, bunte Mischung ist das. Es gibt sogar noch viele gebildete Rentner und Rentnerinnen, die es hier nicht mehr gibt und die ja bekanntlich sehr gern Bücher kaufen. Eigentlich hatte ich große Vorurteile, besonders, weil der Stadtteil ja mal Hochburg der Nazis war, aber ich war dann sehr positiv überrascht.

Wie wird es in Lichtenberg weitergehen?

Burkhardt: Wir wollen uns ein bisschen öffnen, eine Wand für Belletristik und Sachbuch einführen. Aber erst einmal müssen wir herausbekommen, was die Lichtenberger so lesen.

Haben Sie im Zuge des Umzugs auch mal ans Schlussmachen gedacht?

Burkhardt: Ja, wir haben auf jeden Fall einen Plan B entwickelt. Antje ist gelernte Erzieherin, eine sichere Bank in Berlin. Dann könnte ich versuchen, allein vom Laden zu leben. Oder etwas ganz anderes machen. Ich habe da auch ein paar Ideen. Aber das ist überhaupt noch nicht ausgereift. Und jetzt machen wir ja auch erst einmal weiter. Wir haben in Lichtenberg einen Fünfjahresvertrag unterschrieben und freuen uns auf den neuen Laden.