Die Liebesleber

ORTSTERMIN Die 8. „Türkisch-Olympiade“ in Berlin – zwischen Nationalismus und orientalischer Poesie

Sugra sang die türkische Nationalhymne, im Hintergrund wehte die türkische Flagge

Vor ihrer Ankara-Reise pocht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf eine bessere Integration der in Deutschland lebenden Türken. Dazu gehöre, dass „die deutsche Sprache erlernt wird“. In Berlin geht es am vergangenen Samstagabend hingegen darum, besonders gut die türkische Sprache vorzuführen. Im Tempodrom sangen, schauspielerten und dichteten 17 Schüler für ihr Ticket zur 8. „Türkisch-Olympiade“ – dem größten Türkisch-Wettbewerb der Welt.

Die Finalisten haben sich vorab in regionalen Deutschland-Wettkämpfen bereits gegen 1.700 Teilnehmer durchgesetzt. Am Samstag treten sie nun vor 3.000 Zuschauern in vier verschiedenen sprachlichen Disziplinen gegeneinander an – eingeteilt in Mutter- und Nichtmuttersprachler. Mit dem Wettbewerb soll für interkulturelles Verständnis geworben werden.

Als zu Beginn der Veranstaltung der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf der Leinwand gezeigt wird, kreischt eine etwa 15-jährige türkischstämmige Zahnspangenträgerin: „Ich liebe ihn, er ist so süß.“ Dann sagt sie zu ihrer deutschen Freundin: „Das ist wie bei euch mit Angela Merkel.“

Die Schüler auf der Bühne wirkten allesamt wie stolze Oscar-Gewinner, die Mädchen in knallbunten Kleidern mit viel Glitzer und die Jungs in meist zu großen Anzügen.

Eine 14-jährige Deutsche wagte sich an ein tragisches Gedicht über eine Frau, deren Sohn ihr die Leber rausreißt. Mit dem Organ will er seine Geliebte beeindrucken – dummerweise lässt er die Leber aber auf den Boden fallen. Damit ist sie als Liebesgabe nicht mehr zu gebrauchen. Überhaupt war der Abend voll orientalischer Poesie. Es wurde von sterbenden Rosen, von traurigem Wasser und eingesperrten Nachtigallen gesungen und Gedichte über Wunden, die durch Zungen verursacht werden, wurden vorgetragen.

Etwas bizarr wurde es, als ein dreijähriges Mädchen die Bühne betrat. Sugra aus Stuttgart sang die türkische Nationalhymne, im Hintergrund wehte die türkische Flagge und an besonders emotionalen Stellen klopft sich das blonde Mädchen mit der Faust an die Brust. Dass Publikum tobt, steht auf – und das Kind wirkt sehr verloren auf der großen Bühne.

Dann geht der Hauptsponsor hinauf. Murat Tüysüz von der Lebensmittelfirma Sebil bedauert, dass seine Landsleute im Mittelalter nicht so weit in Europa vorgedrungen seien. „Aber wir können Türkisch als Amtssprache noch durchsetzen.“ Dem Publikum ist auch das einen langen Applaus wert.

Die vier Gewinner des Deutschlandfinales fahren zu den internationalen Schlusskämpfen der Türkisch-Olympiade in die Türkei. Dort müssen sich die Sieger aus Deutschland im zweiwöchigen Finale vom 26. Mai bis 9. Juni gegen etwa 750 Schüler aus 120 Ländern beweisen. Im vergangenen Jahr gewann das deutsche Team in der Türkei vier Goldmedaillen. Dort sind die jährlich stattfindenden Spiele ein nationales Ereignis, das von allen großen Fernsehsendern live übertragen wird.

CIGDEM AKYOL