Ägyptens Krise

ÜBERSICHT Die Ereignisse im Land am Nil der letzten zwei Monate. Wer ist an der Macht, wer hat geputscht, und wie geht es weiter?

Was bisher geschah: Am 3. Juli verkündete Ägyptens Armeechef General Abdul Fattah al-Sisi die Absetzung des ersten gewählten Präsidenten von Ägypten, Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern, der 2012 die ersten freien Wahlen in Ägypten gewonnen hatte. Zuvor hatten Millionen von Menschen gegen Mursi wegen seiner zunehmend autoritären Herrschaft protestiert, vor allem am 30. Juni, Jahrestag seiner Amtseinführung. Die Armee sagte, sie folge mit ihrem Schritt dem Willen des Volkes, und ernannte eine „Übergangsregierung“ unter dem Richter Adli Mansur. Mursi wurde festgenommen und an einen unbekannten Ort verschleppt. Die Muslimbrüder starteten Massenproteste. Nachdem am 8. Juli mindestens 51 Demonstranten von der Armee erschossen wurden, riefen die Muslimbrüder zum Aufstand auf. Sie errichteten Protestlager in Kairo. Am 26. und 27. Juli gab es erneut Massendemonstrationen beider Seiten in Kairo, mindestens 70 Menschen starben. Internationale Vermittlungsversuche verliefen danach im Sand.

Zuspitzung diese Woche: Am Mittwoch im Morgengrauen rückten Sicherheitskräfte mit Bulldozern auf die beiden großen Protestcamps in Kairo vor. Eines wurde relativ schnell geräumt, bei dem anderen in Rabaa im Osten Kairos entwickelten sich stundenlange blutige Straßenschlachten. Mindestens 240 Leichen wurden im Gebäudekomplex der benachbarten Moschee gesammelt, bis die Sicherheitskräfte die Moschee stürmten und in Brand steckten. Wie viele Menschen an diesem Tag ums Leben kamen, ist unklar. Die ägyptische Regierung korrigierte die amtlich bestätigten Opferzahlen bis Freitag früh wiederholt nach oben, zuletzt sprach sie von 638 Toten und 3.996 Verletzten. Die Muslimbrüder sprechen von mindestens 2.200 Toten.

Wie es weitergeht: Unabhängig davon, ob die Lage auf der Straße weiter eskaliert, steht die Übergangsregierung vor zwei Problemen: Sie muss entscheiden, was sie mit dem verhafteten Mohammed Mursi anstellt, gegen den sie jetzt wegen mutmaßlicher Angriffe auf Gefängnisse während des Aufstands gegen die Mubarak-Diktatur 2011 ermittelt. Mehrere andere Führungsfiguren der Muslimbrüder sind ebenfalls in Haft. Unklar ist auch, ob die Übergangsregierung weiter dazu steht, 2014 freie Wahlen abzuhalten und die Macht an eine gewählte Regierung zurückzugeben. Durch die Verhängung des Ausnahmezustands am Mittwochabend sind erst alle Vollmachten zunächst wieder beim Militär. Selbst wenn es zu Wahlen kommen sollte, ist unwahrscheinlich, dass die Muslimbrüder daran teilnehmen dürfen, obwohl sie bei den Wahlen 2011 und 2012 die größte politische Kraft wurden. Zahlreiche Aktivisten des Aufstands gegen Mubarak haben sich mittlerweile von der Militärregierung distanziert, nachdem sie teilweise den Putsch gegen Mursi noch gutgeheißen hatten.