berliner szenen No-Fi mit Jim Avignon

Hört ihr überhaupt was?

Vor der Galerie Tristesse in der Schlesischen Straße hat sich eine Menschentraube gebildet, die großen Schaufensterscheiben sind beschlagen, und die Tür lässt sich nur öffnen, wenn man mit ihr etwa fünf Menschen pro Quadratmeter an die Wand quetscht. Trotzdem herrscht ein reges Kommen und Gehen. An der Wänden hängen kleinformatige, bunte Bilder. Jim Avignon geht weg aus Berlin, er zieht nach New York, und dies ist sein vorerst letzter Auftritt in Berlin.

Es ist voll, heiß, stickig, man kommt nicht zur Bar durch. Fast wie früher, in den goldenen Neunzigern, als Jim Avignon praktisch ständig in allen Montags-, Dienstags- und Mittwochsbars spielte. Nur klang es früher besser. Denn der Sound hier ist sehr leise und verwaschen und zerrt und fiept dabei doch ganz unangenehm. Jim steht auf einem Podest im Schaufenster an der Orgel und will das Konzert mehrmals abbrechen. „Hört ihr überhaupt irgendwas?“, fragt er, aber dem Publikum ist fast alles egal: Weitermachen! „Das ist nicht mehr Lo-Fi, das ist Lo-Lo-Fi“, ruft der Künstler in die Menge. „Nein, es ist No-Fi!“, möchte man hinzufügen. Nur wie aus der Ferne und unter vielen Störgeräuschen vergraben kann man die typischen heiteren Avignon-Melodien erahnen. Ein Stück auf der neuen CD heißt „Der Haussegen hängt schief“, und so ist es auch in der Galerie. Die Boxen sind durchgebrannt, wer ist jetzt schuld? Dann wird neu verkabelt, aber es bringt nicht viel.

Endlich wird es ein bisschen leerer, weil viele Leute, dem Kreislaufkollaps vorbeugend, das Weite suchen. Als man Stunden später wieder an der Galerie vorbeiläuft, sieht man durch die jetzt klaren Scheiben den Künstler und ein paar Gäste ganz gemütlich beisammensitzen.

CHRISTIANE RÖSINGER