sebastian kehl
: Beseeltes Relikt

Nun ist eine Vorladung zum „Aktuellen Sportstudio“ kein wirklicher Gradmesser für Popularität und Erfolg. Nichtsdestotrotz gilt ein Interview im Lichte der ZDF-Scheinwerfer so manchem Ballbehandler als höhere Weihe. Sebastian Kehl gehört offenbar zu dieser kleiner werdenden Schar. Der Profi der Dortmunder Borussia betrat denn auch das Studio wie ein Krishna den Schrein. Als habe ihn auf dem Lerchenberg die endgültige Erleuchtung ereilt, lächelte er beseelt, offenbar eine tiefe Gewissheit von der Gesundung des deutschen Fußballs in sich tragend. Ganz mit sich in Einklang präsentierte sich ein neuer Kehl. Oder handelte es sich bloß um eine optische Täuschung? Hatte der Fußballprofi lediglich eine mimische Fassade errichtet – nach dem Vorbild Oliver Bierhoffs, Manager der Nationalmannschaft?

Sebastian Kehl ist ein Übriggebliebener. Auch darauf kann man stolz sein. Vor Jahren galt es als so gut wie ausgemacht, dass Kehl mit seiner Generation, mit Rau, Hinkel, Freier, Lauth und Kuranyi, die Weltmeisterschaft 2006 gewinnt. Jürgen Klinsmann hatte eine andere Personalplanung. Er hat sich für einen noch jüngeren Jahrgang entschieden und den 26-jährigen Kehl nun so spät berufen, dass dahinter nichts als strategisches Kalkül vermutet werden muss; seine Nominierung solle die Dortmunder Fans beruhigen, die im Westfalenstadion am Mittwoch beim Länderspiel gegen die USA einen letzten Trauerzug für den ausgebooteten Christian Wörns abhalten werden – so hieß es allenthalben.

Sebastian Kehl ist also wieder drin im Kader nach 21 Monaten, ein Relikt der „Generation Stillstand“ (Berliner Zeitung). Allein der Fakt, dass er wieder aufgerückt ist, scheint ihn mit sich und der Welt ins Reine gebracht zu haben. Vergessen scheint das Jahr 2003, als er in der Regionalliga kicken musste und seinen Frust in der Konfrontation mit Schiedsrichter Jürgen Aust abarbeitete. Im ZDF sprach Sebastian Kehl jetzt davon, dass das Spiel am Mittwoch „eine richtungsweisende Geschichte für die WM ist“. Außerdem sei es „ein Fingerzeig“ für seine Zukunft. Vorsicht ist freilich geboten: Kehl könnte nur ein Vehikel in Klinsmanns Planungen gewesen sein. Die offizielle Version hört sich so an: „Die, die jetzt dabei sind, haben die besten Karten.“ Das sagt der Bundestrainer. MV