press-schlag
: Alles ist scheiße. Auch der Fußball. So kann es nicht weitergehen

Was soll Deislers Knie angesichts der gewaltigen Zerstörungskraft der Nachrichtenlage anderes tun als bersten?

Es war eine Woche des Schreckens. Ein neuer Wettskandal dröhnt durchs Land, zwei Drittel aller Profiklubs dümpeln durch dramatische Krisen, die Nationalmannschaft ist nur noch ein nationaler Depressionsgenerator und Jürgen Klinsmanns Reformen werden in einer Weise befeuert, dass die ganze Verstaubtheit des deutschen Establishments sichtbar wird. Und jetzt muss auch noch Sebastian Deisler die WM absagen. Sein Knie war schon immer ein zuverlässiger Gradmesser für jenen Moment, an dem die deutsche Fußballhässlichkeit den neuralgischen Punkt überschreitet.

2001 ist das Gelenk kaputt gegangen, nachdem ein Bankmitarbeiter der Sport-Bild verraten hatte, mit wie viel Geld die Bayern den sensiblen Fußballer nach München locken, und 2002 hielt es nicht stand, als der langsam zum Ritual werdende vorweltmeisterliche Pessimismus der Deutschen sich seinem Höhepunkt näherte. Was sollte es nun, angesichts der gewaltigen Zerstörungskraft der gegenwärtigen Nachrichtenlage, anderes tun als bersten?

Zwar wird tatsächlich noch in manchen Stadien gejubelt, doch Lichtblicke wie die Reinkarnation der Mainzer Fußballlust, oder das Ende der italienischen Erniedrigungen durch Schalke 04 werden nur peripher wahr gekommen. Das Erfreuliche an einem ganz normalen 2:1 Dortmunds gegen Kaiserslautern kommt gegen die fußballerische Negativhysterie nicht an. Wie kann das seit Wochen immergleiche Wörns-Klinsmann-Geplapper ernsthaft relevanter sein als die schönen Uefa-Cup-Ambitionen der Dortmunder Borussia? Auch Schalkes tolle Erfolgsserie ist weit weniger aufregend, als es die Assauer-Rangnick-Chaos-Wochen waren. Und die Bayern galten als Langweiler des Jahres, bis sie nun auch eine echte Krise haben. Endlich. Und diesem Aufmarsch der Bitterkeit sollen tatsächlich immer mehr Menschen verfallen – unglaublich.

Diese Klagen mögen nun wie eine dieser reaktionären Früher-war-alles-besser- und Geld-verdirbt-den-Fußball-Arien klingen, da soll hier aber keineswegs eingestimmt werden. Vielmehr geht es um Leichtigkeit, die ein unerlässliches Grundelement von schönem Fußball ist. Es mag viel verlangt sein, Leichtigkeit zu fordern, wenn die Bundesliga von einem Wettskandal bedroht wird, wenn eine Weltmeisterschaft ansteht, die ein Wirtschaftswunder initiieren soll, wenn ein Volk sein Selbstwertgefühl von den Leistungen 22-jähriger Fußballer abhängig macht und nicht mal der verdammte Frühling beginnen will. Doch Deutschlands Fußball und sein hysterisches Umfeld sind gerade dabei, die Weltmeisterschaft unter ihrer irrealen, künstlich inszenierten Bedeutungsschwere zu erdrücken. Das wäre dann doch nicht nötig gewesen.

DANIEL THEWELEIT