Bremer Streikkommando

Nach der 1:3-Niederlage im Frankenland überlegen die Werderaner, ob die Krise, in der sie stecken, groß oder klein ist. Der 1. FC Nürnberg hat die Probleme nicht. Der Club feiert Angreifer Robert Vittek

„Robert ist auf dem absteigenden Ast, er hat nur zwei Tore gemacht“ (Meyer)

AUS NÜRNBERG OLIVER TRUST

Sicher hätten sich die Männer in den Anzügen des SV Werder Bremen die ganze Diskussion an diesem Abend schenken können. Krise oder nicht? Große Krise oder vielleicht doch nur eine kleine? Reden hilft aber, wenn etwas nicht stimmt im Leben. Die Körpersprache deutete es an: Die Ergebnisse tendieren in Richtung besorgniserregend, wozu auch passte, dass der Bus auf der Hinfahrt zum Frankenstadion im Stau steckte.

So zumindest lautete die offizielle Erklärung dafür, dass der fünfmalige deutsche Meister erst knappe 45 Minuten vor dem Anpfiff im Stadion eintraf. Wer jetzt noch nicht davon überzeugt war, bei den Bremern sei einiges in Schieflage geraten, der wurde spätestens beim dritten Ligaspiel ohne Sieg mit weiteren Argumenten gefüttert. Als „kleine Krise“ könne das durchaus gelten, befand Miroslav Klose, der bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem 1:3 beim 1. FC Nürnberg unübersehbar Unwohlsein bekämpfte: „In der Vorrunde dachten wir, wir wären weiter und ausgeglichener besetzt, das kann heute so nicht stehen bleiben.“

Man müsse etwas verändern, meinte Tim Borowski bedrohlich brummend – und zwar „im Kopf“. Wie man weiß, werden Spiele – vor allem im Fußball – genau dort entschieden. Und so ging die Werder-Familie auf Spurensuche, und die Klubführung würzte diese mit Aussagen, die wie erste Drohungen klangen. „Für die Champions League müssen entsprechende Spieler geholt werden. Wenn Einsatz und Leidenschaft nicht länger stimmen, sind das Spieler, die wir uns nicht leisten können“, sagte Manager Klaus Allofs. Bis auf Uefa-Cup-Platz vier wurde Bremen „durchgereicht“, da ist es Zeit, Alarm zu rufen.

Auch dem Mann aus der Führungsetage des Klubs, der in der Krise durch Besonnenheit auffällt, war das Problem der vielen verletzten Stammkräfte nicht entgangen. Johan Micoud, Frank Baumann, die nicht nach Nürnberg gereist waren, und dann nach 23 Minuten auch noch Torsten Frings. Frings humpelte vom Feld direkt ins Krankenhaus und sagte wegen einer Wadenbeinprellung mit Sehnenverletzung anschließend fürs Länderspiel am Mittwoch gegen die USA in Dortmund ab. Im Mittelfeld verrichteten die Ersatzkandidaten wie Jurica Vranjes, Daniel Jensen und Leon Andreasen Arbeit ab, die nicht dazu taugte, einen entschlossenen und zielstrebigen Gegner wie Nürnberg, der angetrieben von Abstiegsängsten sein Heil auch in körperlich betontem Spiel suchte, in die Schranken zu weisen. Dem stümperhaften Treiben setzte die Abwehr um Frank Fahrenhorst, Naldo, Christian Schulz und allen voran Nationalspieler Patrick Owomoyela die Krone auf. Sie wurden von den Nürnbergern teilweise demütigend vorgeführt und gaben ein erbärmliches Bild ab. Wie „Angehörige des öffentlichen Dienstes, die gerade ein bisschen streiken“, hätten die Werderaner gespielt, befand der Weser-Kurier spöttelnd.

Die zurückhaltende Einstellung hätte sich um ein Haar zu einem Debakel ausgewachsen. Der Club aber vergab beste Möglichkeiten gleich reihenweise. Jan Polak (42.) traf nur den Pfosten, Ivan Saenko rutschte Zentimeter vor der Torlinie am Ball vorbei (14.) und Robert Vittek vergab einen Alleingang (68.). Wie gut für Nürnbergs eigenwilligen Trainer Hans Meyer, dass sich vor allem der Slowake Vittek seit einigen Wochen als zugkräftige Führungskraft fühlt und darüber auf beeindruckende Weise Zeugnis ablegt. Nach seinen zwei Treffern, den Saisontoren neun und zehn, blieb sogar Raum für Meyers derbe Scherze. Vittek befinde sich eindeutig auf dem „absteigenden Ast“, so Meyer feixend. Der habe heute nur zwei Tore erzielt. Vittek wird die Kritik seines Trainers verkraften. Gegen Duisburg und Köln aber hatte er mit jeweils drei Treffern die Erwartungshaltung in die Höhe geschraubt. Acht Tore in drei Spielen, damit ist der jüngste Aufschwung im Fränkischen eng mit dem Namen Vittek verknüpft. Gegen Bremen traf er nicht nur zweimal, er bediente auch Markus Schroth mit einem schönen Pass, den der zum 2:0 (36.) nutzte, dem Klose den zwischenzeitlichen Anschlusstreffer zum 2:1 (57.) folgen ließ. Während die Franken einen weiteren Schritt in Richtung Klassenerhalt feierten, widmeten sich die Bremer den eigenen Problemen.

„Wir stecken psychologisch in einer schwierigen Phase“, analysierte Klaus Allofs. Und Trainer Thomas Schaaf meinte, mit der unglücklichen Niederlage in der Champions League gegen Juventus Turin – 1:2 durch Keeper Wieses kapitalen Fehler – habe das nichts zu tun: „Wir erfüllen nicht die Grundvoraussetzungen, um Spiele zu gewinnen.“ Denn: „Die Zweikämpfe gewinnen die anderen.“

1. FC Nürnberg: Schäfer - Nikl, Cantaluppi, Glauber - Reinhardt, Mnari (62. Paulus), Pinola (62. Lars Müller) - Polak - Vittek, Schroth (81. Kießling), SaenkoWerder Bremen: Wiese - Owomoyela, Fahrenhorst, Naldo (46. Valdez), Schulz - Vranjes - Daniel Jensen, Frings (22. Andreasen) - Borowski - Klose, KlasnicSchiedsrichter: Gräfe (Berlin); Zuschauer: 40.924; Tore: 1:0 Vittek (22.), 2:0 Schroth (36.), 2:1 Klose (57.), 3:1 Vittek (69.)