nebensachen aus brüssel
: Image-Forscher in Barrosos Diensten

Ein Teenager, der wissen möchte, ob er attraktiv ist, schaut in den Spiegel. Ein Politiker beauftragt Meinungsforscher mit einer Umfrage. José Manuel Barroso, Chef der EU-Kommission, tut vermutlich beides. Damit ihm nichts entgeht, bezahlt er zusätzlich Studenten dafür, dass sie Journalisten auf den Zahn fühlen.

Zunächst habe ich mir gar nichts dabei gedacht, dass sich seit einigen Monaten die Anfragen häufen. Ein Student der Kommunikationswissenschaften aus Berlin geht für seine Diplomarbeit der Frage nach, wie Brüsseler Korrespondenten an ihre Informationen gelangen. Er schickt mir einen Fragebogen, in dem ich ankreuzen soll, ob ich meine Artikel aus anderen Zeitungen abschreibe, aus Pressemitteilungen kopiere oder ob ich zu den Pressekonferenzen der Kommission gehe und sie mir dort in die Feder diktieren lasse. Ich kreuze an, sorgfältig und wahrheitsgemäß – man dient ja gern der Wissenschaft. Wenig später meldet sich eine Doktorandin aus Münster. Ihr Thema: Wie arbeiten Journalisten in Brüssel? Wir treffen uns, aus den geplanten 20 Minuten wird eine Stunde. Ich antwortete sorgfältig und wahrheitsgemäß – schließlich spricht man über kein Thema so gern wie über sich selbst.

Dann trudeln weitere Fragebogen ein, von anderen Unis, anderen Instituten. Mal sind es Soziologen, dann Politologen, eine Pädagogikstudentin – nur die Psychologen fehlen. Dabei wäre das mal was anderes: Wie fühlen Sie sich, wenn der Sprecher der EU-Kommission Ihren Fragen ausweicht? Wie bewältigen Sie Ihre unterdrückte Wut? Leider will das niemand wissen. In einer Skala von null bis zehn soll ich Barrosos Sympathiefaktor bewerten (0 natürlich). In einer Skala von 1 bis 12 soll ich den Informationsgehalt der Pressemitteilungen benoten (ich schreibe – 5, wahrscheinlich macht es den Fragebogen ungültig.) Irgendwann fülle ich die Dinger nicht mehr aus, sondern verweise auf die Erkenntnisse der Kollegen.

Ein Student, den ich fragte, warum auch er mir die immer gleichen Fragen vorlege, reagierte gekränkt. Er mache Nachtschichten, unentgeldlich, um die Fragebögen auszuwerten. Es sei ja wohl nicht zu viel verlangt, dass auch ich meinen Beitrag leiste. Ja schon, schrieb ich zurück. Aber wozu die Nachtschichten? Welcher Erkenntnisgewinn? Er habe sich das Thema nicht selbst ausgedacht, antwortet er beleidigt. Sein Prof habe es ihm gegeben.

Da endlich dämmert es: Eine kurze Suche im Internet bestätigt: Die Hochschulen sind pleite. Auch die EU hat für die nächsten sieben Jahre den Forschungsetat drastisch gekürzt. Wenn es aber darum geht, die Ursachen für ihre Imageprobleme zu ergründen, sitzt den Kommissaren der Geldbeutel locker. Die Fragebogen, die Reisekosten nach Brüssel für junge Wissenschaftler – alles gefördert von der EU. Das ist nun wirklich clever. Zum einen ist Kommissionspräsident Barroso immer auf dem Laufenden, was sich gerade Finsteres zusammenbraut. Und zum zweiten hält uns all die Fragerei so von der Arbeit ab, dass wir gar keine Zeit mehr finden, schlechte Nachrichten über den kleinen Portugiesen aus Brüssel zu verbreiten.

DANIELA WEINGÄRTNER