In welcher Stadt wollen wir leben?

Die Kampagne „Wir bleiben Alle!“ setzt auf aktiven Widerstand gegen die Umstrukturierung der Stadt

„Auch Herr Meier von nebenan kann mitmachen“

EIN STADTENTWICKLER

Die Berliner Innenstadt wird schicker. Subkultur und Szene haben InvestorInnen aus der ganzen Welt angelockt. Diese kaufen in den Innenstadtbezirken die beliebten Altbauten auf, sanieren sie und treiben die Mieten in die Höhe. Mit der Mieterhöhung geht die Vertreibung der Subkultur und ärmerer Menschen aus den Kiezen einher. Gentrifizierung nennt sich dieser Prozess, gegen den sich zunehmend Widerstand formiert.

Eine Initiative, die seit Februar 2008 in der Debatte über die Stadtumstrukturierung ihre radikalen Standpunkte vertritt, ist die Kampagne „Wir bleiben Alle!“ (wba). In ihr sind Menschen aus linken Gruppen, Hausprojekten und Nachbarschaftsinitiativen aktiv. „Wohnraum ist keine Spekulationsmasse“, erklärte Kevin Strieder von der Kampagne in einem Gespräch mit der taz. Die Kampagne will, dass die Innenstadt sozial durchmischt bleibt und sich keine Reichen- beziehungsweise Armenghettos in Berlin bilden. Außerdem setzt sie sich für den Erhalt linker Wohnprojekte ein.

Vor zwei Jahren hat sich die Initiative gegründet, um 19 bedrohte Hausprojekte miteinander zu vernetzen und so gemeinsam gegen die Gentrifizierung zu kämpfen. In den letzten beiden Jahren organisierte die Kampagne die sogenannten Actiondays, auf denen AktivistInnen über kreative Konzepte zum Erhalt von Freiräumen und billigen Mieten diskutierten und mehrfach versuchten, neue Häuser zu besetzen. Ebenfalls rief die Kampagne im Juni 2009 zur Besetzung des Flughafen Tempelhof auf. „Durch unsere Arbeit haben wir es zumindest geschafft, dass der Senat seine bisherige Stadtpolitik hinterfragen muss“, erklärte Strieder. Die Stadt diskutiere, das sei ein großer Erfolg.

Neben diesen Aktionen unterstützt die Kampagne in den Kiezen AnwohnerInneninitiativen und -projekte, die von einer profitorientierten Aufwertung der Kieze betroffen sind und etwas dagegen tun wollen. Zuletzt arbeitete sie mit dem linksalternativen Projekt Bödi 9 zusammen, das sich nahe der Stralauer Allee befindet und seit Anfang der 90er-Jahre existiert. Denn auch dort ist die Gentrifizierung bittere Realität geworden: Die neuen EigentümerInnen Lin und Robert Prenka, vertreten durch Burkhard Voss, sanierten das Vorderhaus, bauten Loftwohnungen in das zweite Hinterhaus und hatten auch für den Rest des Hauses eigene Pläne. Erst am 16. März ließen sie das Erdgeschoss des Projekts von der Polizei und der Gerichtsvollziehern Yvonne Sommerfeld unter Protest räumen.

Als die Räumung der Wohnung im Erdgeschoss bevorstand, wurden das Projekt und die wba-Kampagne gemeinsam aktiv. Die Kampagne stellte die Berichte der BewohnerInnen zu der Räumung auf ihre Website, um so auf die Situation aufmerksam zu machen. Die Räumungs-AG gab Tipps zum Verhalten gegenüber der Staatsmacht während der Räumung. „Wir arbeiten bei wba schon lange mit und erfahren gerade konkret, was die Vorteile einer gemeinsamen Organisation sind“, sagte Magda Winterbaum, die in dem Projekt lebt. Der Rest der Bödi bleibt erst mal rechtlich gesichert, da alle anderen Wohnungen unbegrenzte Mietverträge haben. Mit den Eigentümern wird erneut über einen langfristigen Pachtvertrag verhandelt.

Und das ist auch gut so: Die autonomen Projekte in den Kiezen sehen sich als Zentren des Widerstands gegen die Gentrifizierung. „Wir sind in den Dialog mit den NachbarInnen getreten, um den Kiez nach gemeinsamen Vorstellungen zu verändern“, erklärte Winterbaum. Und Strieder ergänzte, dass man versuche, Leuten zu erklären, was sie bei drohender Mieterhöhung tun könnten. „Es ist schon mal ein Anfang, in einen Mieterverein einzutreten“, sagte Strieder.

Ein Erfolg der gemeinsamen Zusammenarbeit von AnwohnerInnen und Hausprojekten sei, dass nicht ohne weiteres geräumt werden könne, da der Widerstand dagegen mittlerweile gut organisiert sei. Doch das soll nicht alles sein: „Wir versuchen auch, neue Freiräume zu schaffen“, erklärte Strieder. Außerdem solle erreicht werden, dass die Stadt ihre Grundstücke der Öffentlichkeit zurückgibt, anstatt sie zu privatisieren. Doch so lange gelte es weiterhin, politisch zu arbeiten, Initiativen zu unterstützen und Aktionen zu planen. Das selbst erklärte Ziel sei dabei, den Immobilienmarkt zu stören. „Den Eigentümern soll klar sein, dass sich die AnwohnerInnen nichts gefallen lassen“, sagte Winterbaum. Der Senat müsse merken, dass er mit seiner unsozialen Stadtpolitik nicht durchkommt.

Einmal im Monat findet eine öffentliche Vollversammlung statt, zu der alle eingeladen sind, die Stadtentwicklung selber machen wollen. „Die Kampagne funktioniert schließlich nur durch Menschen, die was machen und ihren Input geben, auch Herr Meier von nebenan kann vorbeikommen“, sagte Strieder. LUKAS DUBRO

■ Weitere Infos unter wba.blogsport.de und boedi9.noblogs.org