Sexarbeit und Würde

PÄDOPHILIE Alice Schwarzer nutzt die gegenwärtige Debatte aus, um Prostitution einmal mehr zu kriminalisieren. Eine Polemik

■ ist eine Prostituiertenorganisation. Sie setzt sich für die sozialen und politischen Rechte von Frauen ein, die in der Prostitution arbeiten. Die Organisation hat ihren Sitz im Rotlichtmilieu von Frankfurt am Main. Der gemeinnützige Verein existiert seit 1998.

Prostitutionsgegnerschaft ist zurzeit ganz groß in Mode. Bei der Diskriminierung von Sexarbeit ist Alice Schwarzer eine feste Größe. Und auch aus der aktuellen Auseinandersetzung um pädophile Strömungen in der Entstehungsphase der Grünen versucht die Herausgeberin der Emma, Honig zu saugen.

So schrieb sie in der taz vom 13. 8. 2013: „Die Parallelen im Diskurs um die Pädophilie und dem über die Prostitution drängen sich regelrecht auf: Auch die heute über 90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland werden geleugnet, und es ist von ‚Einvernehmlichkeit‘ und ‚Freiwilligkeit‘ die Rede.“ Wie im pädophilen Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, so bestünde auch zwischen Prostituierten und ihren Kunden ein „Machtverhältnis“, dem ein jede Freiwilligkeit negierendes „Recht des Stärkeren über den Schwächeren“ eigen sei.

Kaum noch Zwangsprostitution

Selbstredend reklamiert Schwarzer für sich die Parteinahme zugunsten der Schwachen und inszeniert sich als Kämpferin gegen die Stärkeren, die ihre Macht missbrauchen. Wie seinerzeit in ihrer Parteinahme gegen Pädophilie gelte es heute, einen „Kampf gegen die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution und für den Schutz der betroffenen Frauen“ (taz, ebd.) zu führen. Die „Parallelen“ zwischen Pädophilie und Prostitution erschleicht Schwarzer sich mit der Behauptung von „90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland“, für die es nicht den geringsten empirischen Beleg gibt.

Die offizielle Polizeistatistik liefert dagegen – zum größten Bedauern aller Prostitutionsgegner – nicht den geringsten Anhaltspunkt für derartige Größenordnungen. Obendrein sind sämtliche Zahlen schon seit Jahren rückläufig: Im Jahr 2002, als das damalige Prostitutionsgesetz in Kraft trat, wies die polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland 776 mutmaßliche Opfer der „Ausbeutung von Prostitution“ (§ 180a StGB) auf. Zehn Jahre später, im Jahr 2012, waren es nur noch 58 mutmaßliche Opfer!

Im Jahre 2002 wies die polizeiliche Kriminalstatistik 793 mutmaßliche Opfer des Delikts „Zuhälterei“ (§ 181a StGB) auf. Im Jahre 2012 waren es nur noch 267 mutmaßliche Opfer bei diesem Straftatbestand. Im Jahre 2002 wurden 988 mutmaßliche Opfer des Delikts „Menschenhandel“ gezählt. 2012 waren es nur noch 642 mutmaßliche Opfer von „Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung“. Gemessen an der Gesamtzahl der im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen bewegt sich diese Opferzahl im Promillebereich. Im Jahr 2011 wurde nur eine einzige Person als Täter im Falle von „Ausbeutung von Prostituierten“ verurteilt, nur 32 Täter im Falle von „Zuhälterei“ und 117 Täter im Falle von „Menschenhandel“.

Verkappter Rassismus

Die tatsächliche Ausweitung der nach wie vor massiven und umfangreichen Razzien und Routinekontrollen im Prostitutionsgewerbe sowie die Verschärfung der Menschenhandelsgesetzgebung (zuletzt 2005) widersprechen der Annahme, dass eine unzureichende Überwachung und zu laxe Strafgesetze die Ursache für den Rückgang der Kriminalitätsentwicklung seien könnten.

Da ein Überhand nehmender Zwang gegenüber Prostituierten aufgrund krimineller Machenschaften nicht wirklich nachweisbar ist, flüchten Prostitutionsgegner wie Frau Schwarzer in die bequeme, aber ausländerfeindliche Behauptung, dass Armut im Herkunftsland schon für sich genommen ein Beleg für „Zwang“ gegenüber Prostitutionsmigrantinnen sei.

Ganz abgesehen davon, dass diese Argumentation in unzulässiger Weise „Notwendigkeit“ mit „Zwang“ vermengt und gleichsetzt, hätte man aus dieser zweifellos reaktionären Sichtweise auch die gesamte „Gastarbeiter“-Immigration nach Deutschland in den 50er und 60er Jahre verbieten müssen. Hier handelt es sich um verkappten Rassismus.

Doch geht es Frau Schwarzer gar nicht ernsthaft um Zahlen, sondern nur um die daraus abgeleitete These vom strukturellen Machtgefälle zwischen Prostitutionskunden und (ausländischen) Frauen in der Prostitution.

Entscheidend bei Schwarzers Argumentation ist die von ihr vorgenommene Parallelisierung des Verhältnisses von pädophilen Erwachsenen gegenüber Kindern einerseits mit dem Verhältnis von Prostitutionskunden und Prostituierten andererseits.

Prostitution mit Pädophilie zu vergleichen macht aus erwachsenen Frauen unmündige Kinder. Frauen in der Prostitution werden mit nicht geschäftsfähigen Minderjährigen gleichgestellt

Von wegen Frauenrechte

Damit wird nicht nur das Verhalten von Prostitutionskunden mit strafrechtlich bewehrter Pädophilie auf eine Stufe gestellt und indirekt zu deren Kriminalisierung aufgerufen. Es werden die Frauen in der Prostitution zudem mit Kindern, also mit nicht geschäftsfähigen Minderjährigen, auf eine Stufe gestellt und damit von Schwarzer entwürdigt, entmündigt und gedemütigt, da sie ihrer Entscheidungs- und Verantwortungsfreiheit beraubt werden sollen. Frauen in der Prostitution stellen sich für die vermeintliche „Frauenrechtlerin“ Schwarzer ganz grundsätzlich als „Opfer“ dar – bar jeder Empirie.

Eine „freie Sexualität ist zwischen Ungleichen nicht möglich“, behauptet Schwarzer im Interview mit „Deutschlandradio“ (14. 8. 2013). In den 70er und 80er Jahren erlitt sie mit derartigen Plattitüden Schiffbruch, als sie diese auf das Verhältnis von Mann und Frau anwandte und sich noch für den „Geschlechterkrieg“ begeisterte. Heute versucht sie mit einem faden Aufguss ihrer Weltsicht ganz oben auf der Antiprostitutionswelle zu surfen.

Ihren Gegnern wirft sie ein „falsches Verständnis von Fortschritt und Freiheit“ vor. Doch wer beständig mit dem Ruf nach Strafrechtsverschärfungen, Verboten und mehr Polizeirazzien gegen Frauen in der Prostitution deren grundrechtlich verbrieftes Recht auf freie und ungehinderte Berufsausübung in Frage stellt, wer durch die Gleichsetzung von erwachsenen Prostituierten mit Kindern ihnen grundsätzlich das Recht auf Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung glaubt absprechen zu können, hat mit „Freiheit“ nichts am Hut. Dass die „Frauenrechtlerin“ Alice Schwarzer Rechte für Frauen in der Prostitution gefordert hätte, ist uns noch nicht zu Ohren gekommen. DONA CARMEN