berliner szenen Lesung mit Ero-Esoterik

Schlackernde Würste

In Westdeutschland gibt’s ja jetzt Verrichtungsboxen. Mit dem Auto fährt der Freier in eine Art Garage, bezahlt, verrichtet sein Sexgeschäft und fährt nach Hause. Für Radfahrer und Fußgänger gibt’s eine kleinere Box mit Campingliege. Darüber würde man doch gern mal was vorgelesen bekommen. Am besten von einem Verrichtungsboxer selber. In einer leicht versifften Linkskneipe, dem BAIZ an der Torstraße, gibt’s jetzt jeden dritten Dienstag im Monat „Erotisches für die Ohren, frivole und lustvolle Texte“.

Die „Sinnorganisten“ tagen in einem stickigen Hinterzimmer. Als man die Tür öffnet, muss man schon einen Besucher beiseite schieben, es liest gerade Stefan Butt. Es dauert ein paar ziemlich aufwändig gedrechselte Sätze und wir hören was von „schlackernden Würsten“ und „ich tue alles für Oral-Verkehr mit Helga“. Drei jüngere Frauen an einem Tisch müssen kichern bei dem klemmigen Text und können gar nicht mehr aufhören, als der Oral- zum Moralverkehr mutiert und die Würste abermals schlackern.

Weil schon wieder jemand die Tür öffnet, setzt man sich direkt auf die Bühnenkante. Das ist ein Fehler, denn jetzt beginnt ein Duo aus Sängerin und Gitarrist den Song „No future to our kisses“ direkt hinter einem. Der Gitarrist mit Pearl-Jam-Shirt wird später auch noch eine Geschichte vorlesen. Grausig ernsthafte Ero-Esoterik. Endlich kommen die „prallen Brüste“ ins Spiel, der Autor vergleicht Sex ständig mit Meditation. Zum Glück ist es so eng, dass man Zettel und Papier nicht aus der Tasche gezogen bekommt, um die schlimmsten Stellen zu zitieren. Es folgen Dias mit erigierten Schwänzen – festgezurrt, eingeklemmt, sehr aus der Nähe fotografiert. Ach ja, heute Abend wird wieder Text verrichtet. ANDREAS BECKER