ausgehen und rumstehen
: Gerne hätte ich Henry Rollins den Titel „Die Uzi Gottes“ verliehen

Mein Lieblingspoesiealbumspruch war stets „Dieser dicke Strich / erinnert Dich an mich“. Der Satz ist, wie Poesiealbumsprüche sein sollen: prägnant, persönlich und kindisch-schalkhaft. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ genauso wie „Rede wenig, rede wahr, vieles Reden bringt Gefahr“ habe ich irgendwie immer als Affront begriffen, vielleicht auch, weil es mir tatsächlich sieben Mal hinterlassen wurde. Wahrscheinlich hatte eine dämliche Streberclique sich abgesprochen.

Ich bin zwar längst drüber weg, musste aber an diesem Wochenende verstärkt an die beiden Stummschaltungssprüche denken. Zuerst am Freitagabend, den ich im Foyer der Volksbühne verbrachte, Winson und Doc Schoko verpassend, auf Fehlfarben wartend und im Gespräch mit alten Journalistenbuddies – im übertragenen, nicht im biologischen Sinne alt, selbstverständlich.

Wie schön man sich immer mit Journalisten festquatschen kann! Die haben ja wirklich zu jedem Scheiß eine Meinung, schlimmer als Taxifahrer. Und ich bin ganz genauso. Rentenniveauanpassung? Die neue Strokes-CD? „Brokeback Mountain“? Vogelgrippe? Serienmörderprofiling? Fragt mich doch einfach. Samstag war ich immer noch nicht heiser und probierte ein schniekes Kreuzberger Restaurant aus, in dem es, das stellten meine Freundin und ich mit spitzen Schnuten fest, eine Menge ekeliges Chichi-Zeug gab, wie Gefüllte Schweinefüßchen und Schokoladen-Blutwurstkuchen – klingt nach Erich Kästners Menüvorschlägen in „Der 35. Mai“, Schuhcreme mit Milch zum Beispiel. Wir hielten uns deshalb am Fisch fest und tranken lieber viel, Weintrauben haben ja glücklicherweise keine Augen (Kartoffeln übrigens schon, sagt das mal den VeganerInnen!).

Später trotteten wir in die Rosa Lounge, wo man im Eingangsbereich in aufgehängten Korbsesseln schaukeln kann, das aber lieber nicht tun sollte, wenn man mehrere Florida Slings getrunken hat. Oder doch, schließlich geht es auch immer ein bisschen um Herausforderung im Leben, womit ich endlich zum Sonntag kommen möchte, der meine gesamten bis dato gesammelten Wochenenderfahrungen unter der Überschrift „Henry Rollins“ subsumierte.

Von wegen wir JournalistInnen reden viel. Stumm, sprachlos und schüchtern sind wir gegen Henry Rollins, der um 20 Uhr einmal die Luft der Passionskirche in seinen Brustkorb pumpte, um dann quasi einen Bandwurmsatz bis 22.30 Uhr auszuspeien. Kein Scheiß, ohne Pause, ohne die von landläufigen Comedians oder professionellen Politikern eingebauten Lachlücken. Wenn ich selbst nicht vor Jahren mal dankbar und stolz den Titel „Die Uzi Gottes“ verliehen bekommen hätte, ich würde ihn sofort hergeben und Rollins mindestens zwanzigmal damit schmücken. Das war der Stil, das beeindruckende Format, inhaltlich wurde ich vom Fan (als der ich gekommen war) zwischendrin zur mäkeligen Kritikerin (als Rollins eine irgendwie ignorante und billige Geschichte über seine Kotzerfahrungen in der transsibirischen Eisenbahn erzählte), kam aber auch wieder ein bisschen zurück zum Fantum.

Am Ende war ich zwiegespalten, immer noch atemlos, beeindruckt von Physis und schierer Logistik. Was für eine Lunge muss ein Mann haben, der zweieinhalb Stunden ohne Pause schreit? Prangert? Witze reißt? Polemisiert? Und wieso musste er zwischendurch nicht trinken? Andererseits hätte er seine Brechschote auch weglassen können, genauso wie seine Abschweifungen zum Frauenanmachen und Kinderwickeln. Wir sind halt streng und wählerisch, wir ewig plappernden JournalistInnen.

JENNI ZYLKA