Bürgerrechtler will seine Akte sehen

Polizei- und Geheimdienstexperte Rolf Gössner klagt gegen den Verfassungsschutz, der ihn seit 35 Jahren beobachtet

Gössner referierte auch bei der Polizei. Wussten die nicht, wen sie da einladen?

BERLIN taz ■ Der Bremer Rechtsanwalt und Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, hat Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erhoben.

Seit 35 Jahren hat der Verfassungsschutz Gössner schon im Visier. Seit gut zehn Jahren versucht der Anwalt zu erfahren, was sich in dieser Zeit eigentlich in den Akten über ihn angesammelt hat. Außer einer unvollständigen Auflistung seiner eigenen Publikationen und Vorträge bis zurück ins Jahr 1970 ist dabei nicht viel herausgekommen.

Nun will es Gössner, Autor mehrerer Polizei- und Geheimdienst-kritischer Bücher sowie Mitherausgeber verschiedener Bürgerrechtspublikationen, über eine Auskunftsklage beim Verwaltungsgericht Köln genau wissen. Eine gefährliche, extremistische Gesinnung unterstellen ihm die Kölner Bundesverfassungsschützer nicht. Doch auch „Einzelpersonen können bereits dann vom Beobachtungsauftrag des BfV erfasst werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie extremistische Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen nachdrücklich unterstützen.

„Dies ist vorliegend der Fall“, heißt es in einem BfV-Schreiben vom Sommer 2005. Gemeint sind damit Gruppierungen wie die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“, die dem Umfeld der erloschenen DKP zugeordnet wird, die Rechtshilfegruppe „Rote Hilfe“, die sich im Knast engagiert, die PDS-nahe „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ oder die linke türkische Zeitung Özgür Genclik. Gegen diese „Kontaktschuld“ wehrt sich Gössner, auch wenn auf ihn „keine eigene Quelle“ angesetzt sei.

Mit Gössner hat das BfV nicht nur einen aktiven Bürgerrechtler „unter Wind genommen“, wie es im Fachjargon heißt. Von 1990 bis 2001 war der Jurist auch rechtspolitischer Berater der grünen Landtagsfraktion in Niedersachsen, die damals mit der SPD die Landesregierung stellte. Gössner hatte dort das Verfassungsschutzgesetz gründlich reformiert und entscheidend mitformuliert. Vieles von dem, was damals liberalisiert wurde, ist freilich inzwischen wieder Schnee von gestern.

Auch bei Gesetzesvorhaben von Bundesregierung und Bundesrat ist Gössner bei Anhörungen der Rechts- und Innenausschüsse als Gutachter aufgetreten. Selbst in der Polizei-Führungsakademie, wo der Führungsnachwuchs der deutschen Polizei ausgebildet wird, hat er als Referent gedient – ebenso beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz. Sollten die Kollegen nicht gewusst haben, wen sie sich da einladen? Eine kurze Nachfrage bei Nadis, dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem in Köln, hätte gereicht, denn auch dort ist Gössner umfänglich gespeichert.

Neben der Liga für Menschenrechte haben auch die Neue Richtervereinigung, ein bundesweiter Zusammenschluss von RichterInnen und StaatsanwältInnen, öffentlich gegen die anhaltende Überwachung von Gössner protestiert. Beide Organisationen verbindet nicht nur die Herausgeberschaft des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“. Auch Journalistengewerkschaften und namhafte Schriftsteller des deutschen PEN-Zentrums – darunter Günter Grass, Dorothee Sölle und Gerhard Zwerenz – forderten bereits Aufklärung.

Beim BfV will man sich weder dazu noch zu möglichen anderen Auskunftsklagen äußern. „Kein Kommentar“, heißt es lapidar. Gössners Prozessaussichten stehen indes nicht schlecht. Mit dem Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß hat er einen kompetenten Mitstreiter gewonnen. Mehrere Auskunftsklagen gegen Polizei und Verfassungsschutz hat Kauß bereits zu einem erfolgreichen Ende gebracht.

OTTO DIEDERICHS