strafplanet erde: märchen im Keller von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Halb zog sie sich, die Nacht, halb sank sie hin, als die Hauptfigur dieses Spätfilms im TV … nun ja, „Hauptfigur“? Etwas übertrieben, zumal sie gleich verschwindet, sobald sie ihre Schuldigkeit getan hat.

Eintönig werkelte die Hauptfigur in einem Keller vor sich hin, sodass mich ein gedehntes Gähnen überwältigte. Bis die Ziegel aufgemauert waren, dauerte es zirka eine Ewigkeit lang. Wie die arbeitet, möchte ich mal Urlaub machen. Bevor die Hauptfigur die Mörtelfugen glatt spachtelte, oszillierte noch die Warnung durch meinen schläfrigen Schädel: You’d better decide, auf welcher Seite du stehst.

Irgendwann war der Kellergang geschlossen – bis auf weiteres endgültig. Schlussstein mit Verzögerung (und, was erst schriftlich schlimm zur Geltung kommt, mit drei hässlichen s hintereinander). Lebendig begraben werden im Do-it-yourself-Verfahren: charmante Skriptidee.

Gleich danach der Gedanke an eine dieser ollen Geschichten, die von der klugen Elsbeth. Sie könnte der Hauptfigur unten im Gewölbe Gesellschaft leisten. Die kluge Elsbeth aus dem Märchen mauerte sich selbst ein (bildlich gesprochen!). Sie, die „Zwirn im Kopf“ hatte (aber hallo!), stieg mit dem Auftrag, Bier zu holen, hinab in die Tiefe, oben stellte sich Hans, der Heiratskandidat, Elses Eltern vor.

Während das Bier in die Kanne läuft, sieht Elsbeth eine Kreuzhacke über sich, die Maurer haben sie dort aus Versehen stecken lassen. Elsbeth bricht in Tränen aus: „Wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein Kind, und das ist groß, und wir schicken das Kind in den Keller, dass es hier soll Bier zapfen, so fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt’s tot.“ Da schreit sie aus Leibeskräften über das bevorstehende Unglück.

Die arme Elsbeth, dachte ich, würde heutzutage schuldig gesprochen werden, wäre ein Zielobjekt für das Gekeife, den Rentenbeschaffungsalarmismus, die Katastrophengaukelei, wäre verantwortlich für die hysterisch beklagte Lage auf dem Nachwuchssektor in einem Land der fadenscheinig grassierenden Implosionskraft und windelweichen Standortfaktorendemagogie. Elsbeths Bedenkenträgerschaft würde als Fanal gedeutet, als Menetekel, Mahnung, Memento und dergleichen. Damit nicht genug, würde Else insgeheim womöglich die steile Karriere einer Bierbesorgerin anstreben statt pflichtgemäß Kinder zu kriegen … Es war kein Fernsehfilm, sondern anderer Unfug, ein hyperdramatischer Nachtmar, der sich eingestellt hatte, nachdem Zeitungen seit kurzem Serienaktionen starteten unter Überschriften wie „Kinderglück“ oder „Willkommen im Leben!“: Regimentweise wurden Neugeborene vorgestellt und abgebildet, weil: sie „bedeuten Zukunft und verbreiten Optimismus.“ Da kann ja nichts mehr schief gehen.

Im Keller herrschte nun Ruhe. Vermutlich widmeten sich die Hauptfigur und die kluge Else der Optimierung der Bevölkerungsakquisition. Ich war zurück an die Oberfläche getaucht. Das Material für den nächsten Albtraum wurde am folgenden Abend angeliefert von Jürgen von Manger – im TV: „Lisbeth, wo hamm wir ein’klich hingekuckt, als es noch kein Fernsehn gab?“ Nun aber graute der Morgen.