AUF DEM FAHRRADWEG
: Wie süß, ein Igel

Ich begreife, welches Bild ich abgebe. Ein Mann auf allen vieren

Oh, da läuft was! Ein Igel! Schnell hin! Ich steige vom Rad und zücke die Kamera.

Igel sind toll. Ich liebe sie. An einem lebenden Exemplar kann ich unmöglich vorbeifahren. Leider sind die meisten, die man zu Gesicht bekommt, alles andere als lebendig, sondern blutiger Matsch oder stachlige Matten auf der Autobahn. Igel könnten ein entspanntes Leben führen, wenn das Auto nicht erfunden worden wäre. Sie tun mir leid. Und sie haben so niedliche Gesichter. Niedlich und ein bisschen traurig.

Komm, zeig dich. Na komm. Ich tu dir wirklich nichts, ich bin doch kein Auto. Auch kein Dachs. Dachse, heißt es, sind stark genug, einen fest eingerollten Igel aufzuhebeln. Ich vermute, dass sie sich dabei trotzdem eine blutige Schnauze holen, denn Igelstacheln piksen enorm. Ich mache jedenfalls nichts, versprochen. Nur ein Foto. Oder zwei.

Tja. Dauert wohl ein bisschen, ich kenne das. Sie laufen nicht weg, sondern machen sich zur Kugel. Dann heißt es geduldig sein. Irgendwann merken sie, dass man ihnen nichts Böses will. Na komm, nur ein Foto von deiner süßen Schnauze. Wenn du dabei ruhig bleibst, muss ich noch nicht mal blitzen.

Ein Auto fährt hinter uns vorbei. Bremst ab. Hält in zweiter Reihe. Einer steigt aus. Was will denn der jetzt von mir?

„Hallo, alles in Ordnung?“

„Bei mir? Äh … doch, doch.“

In diesem Moment begreife ich, welches Bild ich abgebe. Ein Mann auf allen vieren, zusammengekauert auf einem nächtlichen Gehweg, das Fahrrad ein paar Meter weiter. Verdammt.

„Brauchen Sie Hilfe? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“

„Nein, äh, danke, das ist nett gemeint. Aber ich … will nur den, äh, Igel fotografieren.“

„Okay.“ Er steigt wieder ein. Überzeugt wirkt er nicht.

Puh. So schnell entstehen Missverständnisse. Aber egal, jetzt mache ich schnell mein Foto. Scheiße. Weg ist er.

CLAUDIUS PRÖSSER