BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Guter Knast, böser Knast

Was Doku-Soaps bei RTL2 mit der Föderalismusreform zu tun haben

Es ist 17 Monate her, dass wir als Familie einen Stadtbummel gemacht habe“, erzählt Sabine K. Sie fährt mit ihren drei Kindern in der Straßenbahn zum Ehemann und Vater. Einen ganzen wunderbaren Tag werden alle fünf miteinander verbringen können: auf dem Spielplatz, im Schnellrestaurant, beim Schuhekaufen. Nicht in der gemeinsamen Wohnung allerdings, denn es gibt keine. Die Eltern sitzen wegen Mietbetruges im Gefängnis, genauer: in zwei verschiedenen Gefängnissen.

Gemessen daran, wie es der Familie gehen könnte, geht es ihr ganz gut. Die Mutter darf mit den Kindern in der Haftanstalt wohnen und hat täglich Freigang. So kann sie den Sohn selbst zum Kindergarten bringen. Die Besuche beim Vater waren bisher auf eine Stunde in jeder zweiten Woche beschränkt, deshalb bedeutet der gemeinsame Tag für die Kinder ein kaum noch erinnertes Glück. Er wird in zwei Monaten aus der Haft entlassen werden, die Mutter erst in elf.

Manchmal findet man im Fernsehen kleine Perlen der Dokumentation auf Programmplätzen, an denen man sie nicht vermutet hätte. Ausgerechnet auf dem Krawallsender RTL2 war im Rahmen der Reihe „Exklusiv – die Reportage“ eine eindrucksvolle Sendung zu sehen: In der Folge „Mit Mama hinter Gittern – wenn Mütter ins Gefängnis müssen“ schilderte Autor Dirk Borowski sensibel und unaufdringlich den Alltag von Familien, die keinen normalen Alltag mehr haben.

Zum Beispiel den von Gabi B, inhaftiert wegen Kreditkartenbetruges, und ihren Kindern. 21 Stunden Ausgang hat die Mutter pro Woche. Die spart sie jeweils fürs Wochenende auf, damit sie wenigstens am Samstag und am Sonntag so viel Zeit wie möglich mit ihren 17 und 7 Jahre alten Söhnen und der 14-jährigen Tochter verbringen kann. Man muss nicht besonders sentimental sein, um hilfloses Mitgefühl zu empfinden, wenn der Jüngste mit zitternden Lippen erzählt, wie glücklich er ist, wenn die Mama kommt. Und wie traurig, wenn sie wieder gehen muss.

Wie gesagt: Der Junge kann – vergleichsweise – von Glück reden. In den meisten Ländern der Welt sind Mütter einfach aus dem normalen Lebensrhythmus ihrer Kinder verschwunden, wenn sie sich strafbar gemacht haben. Für Monate, für Jahre, für immer. Vielleicht ist das in Deutschland ja auch bald so. Dann nämlich, wenn der Strafvollzug zur Ländersache wird, wie die Reformer des Föderalismus das derzeit wünschen.

Der Deutsche Anwaltsverein und andere Fachleute warnen dringend davor. Sie befürchten einen Wettlauf des Populismus um die härtesten Strafen für Gesetzesbrecher. Und eine Absenkung des bisherigen Mindeststandards aus Kostengründen. Die Bundesjustizministerin glaubt hingegen an das Gute in ihren Kollegen. Sie hat die Bundesländer zu einem Wettbewerb um die besten Gefängnisse aufgerufen. Die Justizminister müssten ein breites Kreuz haben und ihren Finanzministern sagen: „Gute Justizgewährleistung kostet Geld.“ Ja, so kennt man Landesregierungen. Immer ganz vorne, wenn es darum geht, ausschließlich im Interesse der Sache zu entscheiden. Selbst dann, wenn es teuer wird und auch gegen Volkes Stimme. Hamburgs Justizsenator fände es „wunderbar“, wenn die Kompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übergehe. Er hofft, dass sich dann bei Kriminellen eine „Abneigung gegen Hamburg“ entwickele. Roger Kausch will nämlich dafür sorgen, dass „die Sicherheit der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern als vorrangiges Vollzugsziel im Gesetz verankert“ wird. Endlich! Bisher war es ja vorrangiges Vollzugsziel, gefährliche Straftäter schnell wieder auf die wehrlose Bevölkerung loszulassen.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat angekündigt, der „Strafcharakter“ des Vollzugs solle künftig wieder deutlich werden. Das wird den Kindern von Sabine K. und Gabi B. sicher weiterhelfen auf ihrem Weg zu gesetzestreuen, patriotischen Deutschen. Ach, übrigens: Die Kinder haben weder Wohnungseigentümer um die Miete geprellt noch Kreditkartenbetrug begangen.

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