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Archiv-Artikel

Zukunft zaubern

TECHNO Ende der 80er sorgte Jeff Mills mit militantem Detroit Techno für Aufsehen. Nun präsentiert er sein bislang ambitioniertestes Projekt „Sleeper Wakes“

Wie kalkuliert man, was sein kann und wird?

VON ROBERT MATTHIES

Sein Pseudonym steht ihm auch nach 23 Jahren gut: Der „Wizard“ nannte sich Jeff Mills bereits 1987, als sich seine DJ-Sets beim Detroiter Radiosender WJLB allmählich zum Höhepunkt der legendären Nachtshow des DJs „The Electrifying Mojo“ entwickelten. Und das nicht nur Mills’ beeindruckender Scratching- oder Beat-Juggling-Skills wegen. Vor allem die düster-neblige Zusammenkunft von Industrial, Detroiter Techno, Miami Bass, Chicago House und klassischem New Wave auf den Plattentellern und Mehrspurrekordern des damals 24-Jährigen sorgten für Furore. Oft waren dabei die Versatzstücke, aus denen Mills seine eklektischen Klang-Collagen bastelte, nicht länger als eine Minute. War der beste Teil des jeweiligen Stücks abgespielt, landete die Platte per Wurf über die Schulter auf einem großen Haufen. Der beträchtliche Ausmaße annehmen konnte: 280 Platten in vier Stunden. Eine Kompromisslosigkeit, mit der Mills früh polarisiert hat.

Kurz darauf gründete Mills gemeinsam mit dem ehemaligen „Parliament“-Bassisten „Mad“ Mike Banks mit dem Kollektiv „Underground Resistance“ den wohl politischsten Ausdruck des Detroiter Technos. Mit dreckiger Vierspur-Ästhetik, einer strikten Anti-Mainstream-Strategie und in Skimasken und schwarze Kampfanzüge gewandet bezogen Mills und Banks ihren Sound auf die komplexen sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungen, die sich vor allem in der Zerstörung innerstädtischer Ökonomien im Anschluss an die Reagan-Ära ausdrückten. Kompromisslose Musik, die Aufmerksamkeit und politischen Wandel befördern sollte.

1992 gründete Mills dann mit dem heute in Chicago ansässigen „Axis Records“ sein bedeutendstes Label, auf dem er bis dato, neben dem Berliner „Tresor“-Label, die meisten seiner Stücke veröffentlicht.

Denn anders als die meisten seiner damaligen Mitstreiter hat Mills in den letzten 20 Jahren eine konstante Produktivität an den Tag gelegt. Und ist dabei stets neue Wege gegangen. Zuletzt sorgte er 2006 mit seinem Album „Blue Potential“ für Aufsehen, auf dem Mills Techno mit den Klangwänden eines Sinfonieorchesters amalgamierte.

Für sein neustes Projekt „The Sleeper Wakes“ hat sich der „Wizard“ vier Jahre Zeit gelassen. Und eine ganze Menge vorgenommen. Das bislang ambitionierteste Album des 47-Jährigen nimmt sich des Begriffs des Wandels und der Spannung an und macht sich auf die klangliche Suche nach der Zeit und ihrer Abwesenheit: Wie schafft man Musik für eine bestimmte Zukunft? Wie kalkuliert man, was sein kann und wird? Und wie gehen wir mit dieser Möglichkeit um?

Wer sich morgen Nacht mit Mills auf die epische Technoreise in die Zukunft begeben will, braucht indes eine gute Kondition: sieben Stunden lang war das entsprechende Set, das der Techno-Zauberer Silvester im Tokioer „Womb“ abgeliefert hat. Inmitten kreisrund angeordneter Apparaturen dirigierte Mills dabei nicht nur Klänge, sondern lieferte auch die korrespondierenden Bilder für die technoide Odyssee.

Ganz so ausschweifend wird das Hamburger Set wohl nicht werden. Dafür gibt es gleich noch eine andere Legende dazu. Zu Mills gesellt sich morgen Nacht Daniel Bell, seines Zeichens der für den deutschen Minimal-Sound einflussreichste Detroiter. Die hiesige Szene wird von „Dial“s Lawrence repräsentiert.

■ Fr, 2. 4., 24 Uhr, Uebel & Gefährlich / Ballsaal, Feldstraße 66