Auf Pilgerfahrt

HIPPEN EMPFIEHLT „Lourdes“ von Jessica Hausner erzählt mit ironischer Distanz und einfühlsamer Nähe von dem Aufenthalt einer Pilgergruppe in dem Wallfahrtsort

Alleine schon für seinen klugen und genauen Blick auf die industriegleiche Organisation des Wallfahrtsortes ist der Film sehenswert

Von Wilfried Hippen

Jedes Jahr pilgern Tausende zum wohl berühmtesten christlichen Wallfahrtsort in Südfrankreich, und sie alle setzen Hoffnungen in diese beschwerliche Reise. Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner durfte an den Originalorten drehen und erzählt von einer dieser genau durchorganisierten Pilgerfahrten, die eine Gruppe Franzosen und Österreicher unter der beinahe militärischen Leitung des Malteserordens unternimmt.

Zum einen wird hier mit einem fast dokumentarischen Blick ein Pilgeraufenthalt in Lourdes gezeigt. Man sieht wie die Pilger essen, schlafen, am touristischen Programm teilnehmen, von den Helfern des Malteserordens bevormundet werden und die Gottesdienste, Waschungen und anderen religiösen Rituale mitmachen, von denen sie sich das Wunder einer Heilung versprechen.

Dass diese Heilung nicht nur geistig sein soll, erkennt man schon daran, dass die meisten mit einem körperlichen Gebrechen zur Pilgerstätte ziehen, und die vermeintlich von ihren Gebrechen Befreiten dann vor einer Kommission antreten sollen, damit ihre Heilung auch „offiziell“ wird.

Alleine schon für diesen klugen und genauen Blick ist der Film sehenswert. Er zeigt auf, dass Lourdes ein Geschäft ist, wie die dort Beschäftigten damit umgehen und dass viele von ihnen mit der Zeit ein, wenn nicht zynisches, so doch recht abgeklärtes Verhältnis zu diesem religiösen Phänomen entwickelt haben.

Besonders in den Gesprächen zwischen einem Priester und einem Offizier des Malteserordens wird das Phänomen „Lourdes“ bis in seine philosophischen Tiefen ausgelotet und zwei sehr wienerische Damen sorgen mit ihren sarkastischen Kommentaren für den nötigen Biss.

Jessica Hausner hält dabei, ihren Figuren gegenüber, eine feine Balance zwischen ironischer Distanz und einfühlsamer Nähe. So wird sie dem komplexen Thema gerecht, indem sie sowohl frömmelnde Beweihräucherung wie auch wohlfeile weltliche Polemik vermeidet.

Aber der Film sieht Lourdes auch mit den Augen einer jungen Gelähmten, und nicht nur, weil diese Christine von Sylvie Testud so authentisch und intensiv verkörpert wird, wird er dadurch zu einem bewegten Drama. Auch wenn sie sich nach außen hin skeptisch gibt und erklärt, Rom habe kulturell viel mehr zu bieten, erkennt man doch ihre Hoffnung auf eine Heilung gegen alle Vernunft. Sie schließt Freundschaft mit ihrer Zimmernachbarin, flirtet ein wenig mit einem der uniformierten Helfer und macht damit sogar jene junge Schwester eifersüchtig, die sich um sie kümmern soll.

Die bis zum Kopf vollständig gelähmte Frau scheint innerlich zu glühen, und um diesen Zustand deutlich zu machen, findet Jessica Hausner Bilder, die mit einer großen Virtuosität komponiert sind, aber nie zum Selbstzweck werden.

So etwa jene Einstellung, in der die Säulen eines Gotteshauses so übermächtig scheinen, dass nur Fragmente von Christine sichtbar werden.

Grandios ist auch die lange Schlusseinstellung, bei der so vieles in der Nahaufnahme von einem Gesicht deutlich wird, nachdem das ausgelassene Feiern der Gesunden wie ein höhnischer Tanz um das goldenen Kalb inszeniert wurde. „Lourdes“ ist ein auf allen Ebenen meisterhaft, ja wundersam erzähltes Werk – ein wenig kann auch die Filmkunst heilen.