Lasst uns eine gute Umgebung bauen

FORSCHEN UND FOTOGRAFIEREN Die Galerie CON.form Architects zeigt Arbeiten, die sich mit öffentlichem Raum in China und Deutschland befassen

Die meisten chinesischen Passanten sagen der Designerin Yimeng Yu, sie könnten den Ort, an dem sie leben, nicht verändern

Auf einem Foto: Eine Frau hängt in aller Seelenruhe ihre hautfarbenen BHs und schlabbrigen Strümpfe auf eine Wäscheleine, die quer über die Straße gespannt sind. Auf einem anderen Foto reihen sich vor einem Haus – in Europa würde man sagen mitten auf dem Bürgersteig – abgeschabte Sessel und Sofas zum Verweilen. Wir befinden uns allerdings nicht in Europa, sondern in einem Lilong, einem in sich geschlossenen Wohnquartier in Schanghai, das man von den öffentlichen Straßen aus durch Tore betreten kann.

Die Fotos stammen von der deutschen Architektin Isabelle Arnold, die sich für ihre Doktorarbeit einen dieser Lilongs angesehen hat. Zu sehen sind sie in der kleinen, aber hochspannenden Ausstellung „City Moves – Urban bewegt“, in der Fotos, Collagen, Grafiken und Installationen deutscher und chinesischer Designer und Urbanisten zu sehen sind. Sie vergleichen, wie in Deutschland und China mit dem Thema öffentlicher Raum umgegangen wird.

Das Gefühl, immer irgendwie drin zu sein

Öffentlicher Raum ist in China ein großes Thema, so Isabelle Arnold, weil es eben kein großes Thema ist. Die Öffentlichkeit als demokratisches Prinzip ist ein europäisches, das im alten Griechenland entstanden ist und das China nicht kennt. „Wir brauchen keinen öffentlichen Raum, weil wir keinen Raum brauchen, der so definiert ist, um öffentliche Dinge zu tun“, zitiert Isabelle Arnold den chinesischen Architekten Qingyun Ma. Dafür, so Arnold, gibt es in der chinesischen Stadt Grenzen zwischen Drinnen und Draußen: Vor allem jede Menge Mauern, Mauern um Häuser, Mauern um Stadtviertel, Stadtmauern. Vielleicht, so legt sie nahe, gibt es daher in China so etwas wie ein Gefühl, immer irgendwie drin zu sein.

Möglicherweise schwärmen deshalb so viele europäische Besucher Chinas davon, wie selbstbewusst und kreativ man sich dort den öffentlichen Raum zu eigen macht.

Die chinesische Designerin Yimeng Yu hat für ihre Diplomarbeit an der Berliner Universität der Künste, die in „City Moves – Urban bewegt“ ausgestellt ist, mit Fotos und kleinen Texten ihre zufälligen Wanderungen in Berlin und ihrer Heimatstadt Schanghai dokumentiert. Dabei hat sie auch Passanten befragt. Verblüffenderweise behaupteten die meisten Berliner Passanten, sie fühlten sich nicht nur durch ihre Umgebung geprägt, sondern sie würden diese auch aktiv gestalten. Die meisten chinesischen Passanten sagten dagegen, sie könnten den Ort, an dem sie leben, nicht verändern. Paradoxerweise wirken die collagierten Berliner Fotos, die Yimeng Yu zu ihren Texten gestellt hat, eher menschenleer, während die Schanghaier Fotos mehr als bewohnt scheinen.

Eine dritte interessante Arbeit stammt von Ulrike Jensen, die sich Schrift im urbanen Raum Pekings angesehen hat. Anders als in europäischen Metropolen dominieren hier nicht vor allem die schönen Buchstaben aus der Welt der Werbung, sondern Slogans aus dem Bereich der politischen Propaganda. „Lasst uns gemeinsam eine gute Umgebung bauen“, so prangt es etwa in großen Lettern auf einem Transportfahrrad für Kohlen. Und auf einer Mauer, hinter der wieder einmal abgerissen wird, steht zu lesen: „Lasst uns die Umzugsaktivitäten fair und öffentlich realisieren …“. Erstaunlich auch, dass in einer so besetzten Stadt immer mehr inoffizielle Texte auftauchen. So hat Ulrike Jensen zwar keine Graffiti gefunden, aber jede Menge kleine Anzeigen und Jobgesuche.

Auch Peking verfügte bis in die Fünfzigerjahre hinein über eine dicke Stadtmauer. Es mag dies ein Grund dafür sein, dass viele Pekinger das Gefühl haben, die Stadt gehöre ihnen. Und das ganz ohne eine Idee von öffentlichem Raum. SUSANNE MESSMER

■ „City Moves – Urban bewegt“. Bis 23. 4., Mo.–Fr. 12–18 Uhr, Galerie CON.form Architects, Brunnenstraße 3