Festnahme einer Reporterin

PRESSEFREIHEIT Bei einer NPD-Kundgebung wird eine Journalistin von einem Nazi angegriffen. Die Polizei bezeichnet sie als Gegendemonstrantin, die die Demo stören wollte. Sie selbst bestreitet die Vorwürfe

Es ist gängige Praxis, dass Journalisten bei Demonstrationen durch Polizeisperren hindurchgelassen werden, wenn sie ihren Presseausweis vorzeigen. So machte es auch eine Reporterin des Berliner Kurier am Dienstagabend, als die NPD auf dem Alice-Salomon-Platz in Hellersdorf gegen das neue Flüchtlingsheim demonstrierte.

Sie befand sich – wie viele KollegInnen – auf der Nazi-Seite der Polizeikette, die die etwa 30 NPD-Anhänger von den 800 Gegendemonstranten trennte. Plötzlich wurde sie von einem NPD-Demonstranten zu Boden geworfen. Mehrere Fotografen beobachteten, wie die Frau auf den Betonplatten lag, und hielten die Szene auch auf Fotos fest. Dann wurden die Frau und der Angreifer, ein den „Freien Kräften“ zuzurechnender Neonazi aus Brandenburg, festgenommen.

Die Polizei stellt das Geschehen am Tag danach wie folgt da: „Eine Teilnehmerin der Versammlung für das Heim nutzte unter Vorzeigen ihres Presseausweises die eingeräumten Vorrechte für Medienvertreter und konnte somit die Absperrung umgehen.“ Und weiter: „Als die 30-Jährige versuchte, an der Lautsprecheranlage der Heimgegner das Stromkabel zu manipulieren, wurde sie von einem gleichaltrigen Kundgebungsteilnehmer zu Boden gestoßen.“

Ein Polizeisprecher sagte auf taz-Anfrage, es sei der „Eindruck der dort eingesetzten Kräfte“ gewesen, dass es sich bei der Frau um eine Gegendemonstrantin gehandelt habe. Gegen sie wird nun wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt, gegen den Nazi wegen Körperverletzung.

Der Kurier ging mit der Sache selbst an die Öffentlichkeit und berichtet auf seiner Titelseite von einem „Nazi-Angriff auf Kurier-Reporterin“. Aber vermischte die Journalistin womöglich ihre Arbeit mit Aktivismus? Es gibt Hinweise darauf, dass die Journalistin Sympathien für die Anti-Nazi-Demonstranten hegt. Per Twitter etwa fand sie unterstützende Worte für in Richtung Nazis fliegende Eier. Aber als Demonstrantin aufgetreten ist die Kurier-Reporterin nicht. Sie war mit einem großen Schreibblock in der Hand erkennbar als Journalistin unterwegs und berichtete auch in der Ausgabe des Blattes am folgenden Tag – nachdem sie für eine Weile im Polizeibus saß. Zwei Stunden sei sie an der Arbeit gehindert worden, schreibt der Kurier, laut Polizei nur gut eine Stunde.

„Völlig inakzeptabel“

Ob die Reporterin wirklich versucht hat, das Stromkabel herausziehen, ist unklar. Im Kurier distanziert sie sich allgemein von den Vorwürfen in der Darstellung der Polizei. Ein Polizist hat laut Polizeisprecher aber die Journalistin bei der Tat beobachtet und war ebenso Augenzeuge, wie der Nazi sie mit beiden Armen schubste, so dass sie zu Boden stürzte. Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands, kritisierte, es sei „völlig inakzeptabel“, dass die Polizei die Journalistin als Demonstrantin bezeichnet.

Es liegt der Verdacht nahe, dass die Polizei auch in anderen Fällen Dinge als Tatsache vermeldet, die nicht so eindeutig sind. Im Mai etwas hieß es in einer Polizeimeldung, zwei 25 und 35 Jahre alte Mitglieder der Antifa-Szene seien mit einer Fahnenstange auf drei Männer der Neonazi-Szene losgegangen. Nachdem diese in einen Imbiss geflüchtet seien, hätten die Angreifer Flaschen und Stühle gegen die Fenster geworfen. Auch in diesem Fall wurde alles als Tatsache dargestellt. Einer der beiden Angreifer soll der Vorsitzende der Piratenfraktion, Oliver Höfinghoff, gewesen sein. Dieser bestreitet, dass die Vorwürfe in irgendeiner Form zutreffen. Er spricht von einer Falschverdächtigung. Solche Anzeigen aus der rechtsextremen Szene seien ein „organisiertes Vorgehen der Nazis, um an Namen und Adressen zu kommen und einzuschüchtern“. Den Fall Höfinghoff hat die Polizei bereits Anfang Juli an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

SEBASTIAN ERB