die taz vor zehn jahren über den türkischen staat und das kurdische neujahrsfest
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Der türkische Staat hat das Newroz-Fest – einst Symbol kurdischen Aufbegehrens – zur offiziellen Zeremonie erklärt. Umrahmt von einem Popkonzert tritt Ministerpräsident Yilmaz im ostanatolischen Igdir auf, gerade hat er den Kurden Frieden versprochen. Da wittert mancher bereits einen Kurswechsel in Ankaras Kurdenpolitik. Aber das ist ein Hirngespinst. Selbst rechtskonservative türkische Kommentatoren, die zu gern jede kleine Reform als Hoffnungszeichen werten, halten sich zu Recht zurück. Politik wird nicht mit vagen Versprechungen gezimmert.

Da ist von einer Liberalisierung des türkischen Strafrechts die Rede, das bisher die Kritiker der Kurdistanpolitik hinter Schloss und Riegel bringt. Da ist die Rede davon, man wolle gegebenenfalls kurdisches Fernsehen zulassen. Ja, selbst der Ausnahmezustand in den Kurdenprovinzen könnte aufgehoben werden, heißt es.

Zu schön, um wahr zu sein? Newroz offiziell zu feiern ist keine Erfindung von Yilmaz. Bereits im letzten Jahr kündigte seine Amtsvorgängerin Tansu Çiller an, daß Newroz türkischer Nationalfeiertag werden soll.

Kursänderung? Nein. Assimilierungspolitik in Perfektion, indem man den Kurden Newroz entreißt. Liberalisierung durch Aufhebung des Ausnahmezustandes? Nein. Seit Monaten arbeiten Bürokraten und Militärs daran, Verwaltungsgesetze zu ändern. Die Gouverneure sollen danach mit fast diktatorischen Vollmachten ausgestattet werden. Das Ausnahmerecht wird zur Regel, nicht nur in den kurdischen Provinzen, sondern überall. Wer von einem radikalen Kurswechsel in der Kurdenpolitik redet, muß wirklich von allen guten Geistern verlassen sein – angesichts einer Regierung, die von Falken durchsetzt ist, und einer Regierungserklärung, in der nicht einmal das Wort „Kurde“ fällt. Ömer Erzeren, 23. 3. 1996