Gut aufgehoben beim Umfallen

INDIE-MELANCHOLIE Düster, komplex komponiert und opulent arrangiert war der Kammerpop der Tindersticks immer. Aber nun beginnen die fünf Briten zu experimentieren

VON NILS SCHUHMACHER

Es ist ein Bild voller Schwermut, das die britischen Kammerpop-Melancholiker Tindersticks im Kopf entstehen lassen. Trocken und staubig ist es, unschlüssig und hilflos stehen die Leute darin, stochern in ihrem Leben herum, fallen immer wieder hin, klopfen sich ab, trinken wahrscheinlich etwas mit Alkohol – und stehen weiter betrübt herum. Und tatsächlich, die Band, die den Soundtrack zu diesem Szenario liefert, sieht genauso aus: Herrschaften, die wenig begeistert aus der Wäsche schauen und der Musik nach zu urteilen nur noch von Narben zusammengehalten werden.

Es klingt wie eine musikalische Variante all der „Gebete für Verlierer“, die die US-amerikanische Schriftstellerin Carson McCullers hinterlassen hat: die angeschlagene Atmosphäre, die wundervolle Musikalität und die am Pop-Gedanken stoisch vorbeimusizierende Art der Tindersticks. Auf den zweiten Blick – zum Beispiel im Rahmen eines ihrer Konzerte – erweitert sich das Bild dann aber doch um eine entscheidende Facette.

Die Tindersticks waren nie nur staubige Verlierer und Randfiguren, sondern immer auch akkurat gekleidete Engländer, die ganz bewusst wie distinguierte Upperclass-Dandys auftreten und sich bisweilen wie Snobs benehmen. Wie diese beiden Bilder angeordnet werden sollen, kann man dabei nie so recht sagen: als zwei Seiten derselben Erzählung von Einsamkeit? Als Versuch, die melancholisch-warme Musik in einen möglichst harten Kontrast zu setzen? Als Arroganz oder Groteske? Als Bohème oder FDP?

1991 in Nottingham gegründet, baute die Band um Stuart Staples bis 2003 auf insgesamt sechs Alben ein ganz spezielles Universum auf, an dem so manche Mode des Pop-Betriebs schlicht abprallte. Bei aller Unterschiedlichkeit waren die Platten im Grundton stets düster, immer komplex komponiert und opulent arrangiert: Wo andere sich ein paar Streicher suchten, buchten die Tindersticks ein ganzes Orchester, ließen es am Ende oder inmitten der Songs mit den Muskeln spielen und dann wieder in sich zusammenfallen.

Bei all dem fiel noch der hymnischste Moment zart aus und wurde noch der schwerste Brocken durch lässig-schwingende Rhythmen zu einem seltsam homogenen Zusammentreffen aus englischem Patienten und südamerikanischer Lebensart in Moll.

Aber dann löste man sich auf. Staples nahm zwei äußerst karge Alben auf und siedelte nach Frankreich über. Und ebendort traf sich die Hälfte der Band, neben Staples Pianist und Keyboarder David Boulter und Gitarrist Neil Fraser, nach einigen Jahren der Ruhe doch wieder und meldete sich 2008 schließlich mit einem neuen Album zurück.

„The Hungry Saw“ knüpfte in Bezug auf die Gesamtstimmung einerseits hörbar an die Vorgänger an, stand gleichzeitig aber auch für den Einstieg in eine Phase nachlassender Opulenz und steigender Experimentierfreude – wobei das Wort Freude in Bezug auf diese Band mit äußerster Vorsicht zu genießen ist. Auf „Falling down a Mountain“ (2010) nahm dieser Weg, aus Sicht der Band vermutlich geradezu ein Ritt in die Moderne, noch immer eher tastend, weiter Gestalt an.

Das im letzten Jahr erschienene Album „The Something Rain“ dokumentiert denn auch das bislang stimmigste Resultat dieser Neufindung. Befürchtungen muss dabei niemand haben. Zumindest Staples’ tiefe, leicht nasale Stimme, das ewige Vibrato, dieser seltsam nuschelige Gesang, der einen immer eher an den US-amerikanischen Süden als an die East Midlands denken lässt, stellt weiterhin das prägende Element dar.

Daneben aber nun unüberhörbar der Versuch, aufgeräumte Atmosphäre zu verbreiten. Stark zurückgenommene Streichersätze müssen sich den Platz nun mit Blasinstrumenten teilen, mit größter Vorsicht wird Elektronik entdeckt. Die ganz großen hymnischen Höhepunkte treten in den Hintergrund.

Die Band ist dabei natürlich dieselbe geblieben: gut gekleidete – jetzt eben noch ältere – Herren mit sparsamen Blicken, Gesten und Kommentaren. Die aber reichen aus, um sich bereits beim Umfallen gut aufgehoben zu fühlen.

■ So, 25. 8., 21 Uhr, Kampnagel