KRAWALL, LYRIK UND KUMPELEI: Disco mit gebrochenem Fuß
Nils Schuhmacher
Helgoland ist nicht kaputtzukriegen. Insgesamt 23 Beteiligte haben sich in diesem, um zwei Personen an Schlagzeug und Bass kreisenden Musikprojekt seit 1993 die Klinke in die Hand gegeben. Sie sind als Gastmusiker, -lesende, -filmende und sonstwie Performende Durchreisende in einem nicht immer einfach zu hörenden Dauergeräusch im Spannungsfeld von Jazz, Experimental-Musik und Avantgarde. Helgoland entsetzen zum Beispiel arglose Touristen in der Strandmuschel, vertonen Filme russischer Altmeister und Lesungen oder präsentieren – wie auf der letzten Veröffentlichung – eine alle möglichen Stile und Möglichkeiten durchdeklinierende Sammlung von Jingles.
Wie wildgewordene Geschwister nehmen sich daneben Les Trucs aus dem Frankfurter Raum aus. Nicht weniger experimentell, aber doch deutlicher an musikalischem Krawall, Elektrotrash und Punk-Attitüde orientiert klingt diese Band und ihr genauso irritierendes wie sperriges Spektakel nun wirklich nach Disco-Abend mit gebrochenem Fuß. Man will mitmachen, fliegt aber verlässlich aus der Kurve.
Sa, 24. 8., 21 Uhr, Kraniche bei den Elbbrücken
Vielleicht der größte und düsterste Diamant der – in ihren Konturen ja nun auch nicht ganz klar definierten – New Yorker Anti-Folk-Szene ist Jeffrey Lewis. In jedem Fall firmiert er bei manchen bereits als größter zeitgenössischer Lyriker der USA (Jarvis Cocker, Pulp) und wer sich seiner schmeichelnden Stimme und den dazugehörigen, eben antifolk-mäßig gebrochenen, Akustikpop-Songs hingibt, wird nicht umhin kommen zu sagen: Hier geht es eine deutliche Spur weniger infantil-niedlich und auch etwas subtiler zu als bei den bekannteren Vertretern des Genres. Vielleicht auch um zu unterstreichen, wo er steht, veröffentlichte Lewis vor einigen Jahren ein Coveralbum mit Songs der englischen Anarchopunk-Legende Crass. Jetzt kommt er, „In the Turn in the Dream-Songs“ und zwei Mitmusikerinnen im Gepäck, vorbei, um ein wenig zu funkeln – natürlich im kleinsten Laden.
Mi, 28. 8., 21 Uhr, Astra Stube
Über einen Mangel an Claqueuren und Fraternisierern kann sich Jens Rachut nicht beklagen. Kaum ist er an der Gründung einer neuen Band oder eines neuen Projekts beteiligt, wird kumpelhaft drauflos geschrieben. Wenn dann auch noch andere Musik-Promis beteiligt sind, ist die Verzückung natürlich doppelt groß oder – das ist dann der Gegenreflex – es wird sich (siehe konkret) voller Häme auf dümmliche Plattenfirmen-Promotexte geworfen, in denen die Kumpel- und Promikarte gespielt wird.
Sei’s drum: Nuclear Raped Fuckbomb sind ein musikalisch äußerst zerklüftetes Ding, in das – so wirkt es – die unterschiedlichen Beteiligten ihre jeweiligen Schwerpunkte eingearbeitet haben, von Punk-Attitüde über verschrobene Orgelflächen bis hin zu Elektro und den „typischen“ Elementen Hamburger Diskurspops. Zusammengehalten wird diese wenig weiche Landschaft, aus der Hits genauso herausragen wie dadaistisches Zeug, von einem ordentlichen Anteil Theatralik. Man möchte jetzt eigentlich nur noch sagen: hoffentlich mal wieder etwas, das polarisiert.
Fr, 6. 9., 20 Uhr, Fabrik
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