DAS DING, DAS KOMMT
: Späte Römer am Harzhorn

DIE DOLABRA, ein Zwitter zwischen Axt und Hacke, den römische Soldaten benutzten, zählt zu den Braunschweiger Exponaten

Die waren gar nicht so verhuscht, die alten Römer. Die hatten zwar um 9 n. Chr. die Varusschlacht im Teutoburger Wald schrecklichst verloren. Aber dass sie sich deswegen nie mehr nach Germanien getraut hätten? Das hätten die Norddeutschen wohl gern, das ist Teil ihres Selbstverständnisses. Auch wenn römische Geschichtsschreiber immer wieder behaupteten, auch danach habe es Feldzüge nach Nord-Germanien gegeben: Die Forscher glaubten ihnen nicht. Sie trauten den Römern das nicht zu, und die Sache geriet in Vergessenheit.

2008 war damit Schluss: Da fanden Archäologen am Harzhorn, einem Gebirgszug im niedersächsischen Landkreis Northeim, so viele Relikte eines Kampfes, die römischen Soldaten gehörten, dass keiner mehr sagen konnte, die Germanen hätten die nur geliehen. Massig Pfeil- und Speerspitzen, dazu Katapultprojektile und allein 1.400 Nägel von Legionärssandalen lagen, im kalkhaltigen Boden gut konserviert, knapp unter der Erdoberfläche. Dazu Hufeisen, Wagenteile und Reste eines Kettenhemdes. Die wichtigsten der 2.500 Fundstücke, die die Archäologen vor allem mit Metalldetektoren orteten, waren die Münzen. Auf ihnen standen Kürzel, die auf den römischen Soldatenkaiser Maximus Thrax hindeuten. Und dass der um 325 n. Chr. einen Feldzug nach Germanien geführt hatte: Genau das hatten die geschmähten römischen Texte behauptet.

Jetzt weiß man also genau, dass damals ein 1.000 bis 9.000 Mann starkes Römerheer von Mainz aus nach Norden zog – ob nun zur Prophylaxe oder aus Rache – und beim Rückweg am Harzhorn gestoppt wurde. Diesen Engpass nämlich nutzten die militärisch eigentlich unterlegenen Germanen zum Angriff.

Darauf muss ein ziemliches Getümmel losgebrochen sein, das Archäologen inzwischen genau rekonstruiert haben: Regelrechte Übungen mit nachgebauten Geschossen hat man veranstaltet, um festzustellen, wohin und wie weit die Projektile flogen. Gewonnen haben damals übrigens die Römer, allerdings nur knapp: Hätten sie sich sicher gefühlt, hätten sie noch funktionsfähige Waffen in Ruhe aufgesammelt und mitgenommen.

Das alles kann man vom 1. September an im Braunschweigischen Landesmuseum nachvollziehen. Das hat sich unter dem Motto „Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn“ der Sache angenommen und zeigt erstmals etliche Fundstücke. Und der öffentlich zugängliche Originalschauplatz ist auch nur 60 Kilometer entfernt.

Was aus dem norddeutschen Varusschlacht-Mythos wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Vielleicht lebt der ja weiter, trotz der neuen Funde.  PS

■ 1. September bis 19. Januar, Braunschweig, Landesmuseum