DIE FUSSBALLSAISON IN DER TÜRKEI HAT BEGONNEN
: Mit Tricks zum Protest

JÜRGEN GOTTSCHLICH

Noch ist der Sommer nicht zu Ende, viele Aktivisten der Gezipark-Bewegung erholen sich am Strand, da wird zu Hause bereits heftig darüber diskutiert, wie es nach dem revolutionären Juni nun weitergehen soll. Die erste Frage, die bei jedem zufälligen Treffen im Café gestellt wird, ist: Geht es überhaupt weiter?

Eine erste Antwort gab es bereits. Am letzten Wochenende begann die neue Fußballsaison. Rechtzeitig vor Beginn der Spielzeit hatte die Regierung den türkischen Fußballverband unter Druck gesetzt, damit dieser dafür sorgen soll, dass politische Meinungsäußerungen in den Stadien unterbleiben. Für viele überraschend hatten sich im Juni, auf dem Höhepunkt der Proteste, die Anhänger aller drei großen Istanbuler Vereine – Besiktas, Galatasaray und Fenerbahce – mit den Gezi-Protestlern solidarisiert und waren gemeinsam bei Demonstrationen aufgetaucht.

Der Besiktas-Fanclub „Carsi“ gehörte sogar zur Speerspitze der Bewegung, mehrere führende Mitglieder von Carsi waren verhaftete worden. Gespannt wartete man deshalb darauf, was zum Saisonauftakt passieren würde.

Für Besiktas kam erschwerend hinzu, dass ihr Stadion, das nahe am Taksimplatz und Gezipark liegt, in dieser Saison wegen Restaurationsarbeiten gesperrt ist und die Heimspiele deshalb im Olympiastadion, weit vor Stadt stattfinden.

Doch alle Befürchtungen der Gezi-Aktivisten erwiesen sich als unbegründet. Lautstark stimmten die Fans gleich zu Beginn der Begegnung den Schlachtruf an, den die Regierung auf keinen Fall hören wollte: „Her yer taksim, her yer direnis“, überall ist Taksim, überall ist Widerstand. Nicht nur die Besiktas-Fans gaben sich ungebrochen, auch im Auftaktspiel von Galatasaray schallten die Slogans der Gezi-Bewegung von den Rängen.

Da ein Verbot nicht durchzusetzen war, benutzten die Verantwortlichen einen Trick, um zumindest die Wirkung zu minimieren. Die Ligaspiele werden in der Türkei vom Bezahlsender Lig-TV übertragen. Offenbar auf Anweisung von oben drehte der Sender den Ton ab, wenn die Fans richtig in Stimmung waren.

In Galatasary hatten sich die Regierungsanhänger noch eine weitere Maßnahme einfallen lassen. Bei dem Spiel tauchte ein Ultrafanclub auf, von dem bis dahin noch niemand etwas gehört hatte. Diese Ultras waren ganz anders gepolt als die existierenden Fangruppen und stimmten plötzlich Lobgesänge auf Tayyip Erdogan an. Eine linke Zeitung mutmaßte, dass es sich vermutlich um einen Zusammenschluss von Zivilpolizisten handelt, deren Fanclub wohl keinen Bestand haben wird. Nach dem Beginn der Fußballsaison schauen alle gespannt auf die Wiedereröffnung der Universitäten. Auch hier sind bereits Repressionen für den Fall unbotmäßiger politischer Aktionen angedroht. Schon jetzt ist absehbar, dass die Studenten sich davon so wenig einschüchtern lassen werden wie die Fußballfans.