Die Stasi hielt Steinbrück für einen Marxisten

GESCHICHTE Der SPD-Kanzlerkandidat stellt seine Stasiakte ins Internet. Darin wird geschildert, was Peer Steinbrück bei Verwandtenbesuchen in der DDR in den späten 70er Jahren über den real existierende Sozialismus gelästert haben soll

BERLIN taz | Peer Steinbrück war mal ein Freund des „demokratischen Sozialismus“. So steht es jedenfalls in seiner fünfzigseitigen Stasiakte, die der SPD-Kanzlerkandidat selbst nun auf seiner Website veröffentlicht hat. Er reagiert damit auf Berichte der Welt am Sonntag, die über angebliche Stasikontakte Steinbrücks in den 70er Jahren geschrieben hatte.

Von Anwerbeversuchen ist in der Akte nicht die Rede. Doch bemühte man sich um die ideologische Einordnung des Bespitzelten: Steinbrück „bezeichnet sich als Marxist“, steht da. Er sei „eindeutig ein Vertreter der Theorie des demokratischen Sozialismus“. Damit war damals die linke SPD gemeint. Heute verbindet man die Linkspartei mit diesen Begriffen.

Steinbrück reiste in den 70er Jahren einige Male zu einer Cousine nach Thüringen. Deren Mann war IM „Richard König“, der über den Besucher berichtete. Die Stasi musste Grundstürzendes erfahren, etwa, dass Steinbrück, der in dieser Zeit zum persönlichen Referenten des Forschungsministers und später zum Mitarbeiter im Kanzleramt aufstieg, den real existierenden Sozialismus ablehnte. „Er stellte die feindliche Behauptung auf, dass der real existierende Sozialismus in der DDR nichts mehr zu tun habe mit den Theorien von Marx, Engels und Lenin“, heißt es in der Akte.

Steinbrück klärte seine Verwandtschaft und somit indirekt die Stasi des Weiteren über die Fehler der DDR auf: „Die Obersten der DDR wären lediglich besorgt um ihre Positionen und Sonderrechte, die sie sich gegenüber anderen Menschen herausnehmen würden. Weil niemand von denen Rechenschaft fordern könne oder dürfe, wären auch darin die Ursachen für die Probleme in der Wirtschaft der DDR zu suchen.“

Bei seinen DDR-Besuchen habe sich Steinbrück aber durchaus wohlgefühlt, weiß der Informant zu berichten: „St. hatte einen sehr angenehmen Eindruck vom Leben in der DDR gewonnen. Es sei ein ruhiges, angenehmes Leben, ohne diese Hektik, die es in der BRD gibt.“ Die Lesenden erfahren weiterhin, dass Steinbrück im Herbst 1976 befürchtete, bei einem Wahlsieg der Union seinen Job zu verlieren, vor allem weil dann der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß wieder in die Bundespolitik gelangt wäre. „Für ihn wäre es eine echte nationale Katastrophe, wenn Strauß die Regierungsgewalt erhielte“, weiß der Informant. Der Kontakt endet, als Steinbrück 1981 anfängt, in der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin zu arbeiten. Der IM vermutet, dass seine Vorgesetzten den Kontakt untersagt hätten.

Steinbrück selbst sieht die Akte eher amüsiert. „Ich habe jetzt lediglich erfahren, welche Person mich bei meinen Besuchen in der DDR bespitzelte.“ Die Akte sei aber auch voller „Übertreibungen und Wichtigtuereien“, erklärt Steinbrück auf seiner Website. Dass er mal Marxist gewesen sein solle, könne er heute nur noch als „Denunziation“ und „schlechtes politisches Kabarett“ sehen. HEIDE OESTREICH