Investition ins weitere Leben

Nach einem Entwurf des Bundesjustizministeriums sollen Nachsorgeambulanzen für psychisch kranke Straftäter nach Hamburger Vorbild entstehen. In Niedersachsen eröffnen im April an neun Landeskliniken entsprechende Angebote

Von ELKE SPANNER

Vielleicht wäre Hans-Joachim B. längst wieder in der Psychiatrie, wenn er in Freiheit nicht intensiv betreut würde. Viele Jahre seines Lebens hat der 68-Jährige, der als „Kunstschänder“ bundesweit traurige Berühmtheit erlangte, im Gefängnis und im Krankenhaus verbracht. Zuletzt war er 16 Jahre lang in der Forensischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Hamburg-Ochsenzoll (AKO) untergebracht. Zwischen 1977 und 1979 hatte er wertvolle Kunstwerke zerstört, geschätzter Gesamtschaden rund 270 Millionen Mark. Als Hans-Joachim B. Silvester 2004 wieder in Freiheit kam, waren die Hamburger Museen darüber informiert – und alarmiert.

Ein Jahr später ist die Bilanz seiner weiteren Entwicklung gut. Denn seit seiner Entlassung wird Hans-Joachim B. in der Nachsorgeambulanz des AKO betreut – bundesweit ein Modellprojekt. Das Bundesministerium der Justiz plant derzeit, alle Länder per Gesetz zur Einrichtung solcher Ambulanzen zu verpflichten. In Niedersachsen ist man schon einen Schritt weiter: Hier wird die Nachbetreuung psychisch kranker Straftäter an neun Landeskrankenhäusern vom kommenden April an vorbereitet.

Die Nachsorgeambulanz in Hamburg gibt es seit April 2004. Zuvor, sagt Leiter Guntram Knecht, sei nur rund die Hälfte derjenigen, die aus der Forensik entlassen wurden, in weiterführende psychiatrische Behandlung gekommen. Unter den niedergelassenen Psychiatern gibt es nur wenige, die Fachkenntnisse über kranke Straftäter mitbringen, und die Arbeit mit dieser Patientengruppe ist zeitintensiv. Das wiederum ist auch ein Kostenproblem: „Nachsorge“ erkennen die Krankenkassen nicht als zu erstattende Leistung an. So wurde die Finanzierung der Ochsenzoller Nachsorgeambulanz von Fachleuten mit der Hamburger Gesundheitsbehörde ausgehandelt. Deren heutiger Sprecher Hartmut Stienen sagt, neben der Stabilisierung des Patienten gehe es auch um einen Rückgang von Wiederaufnahmen im geschlossenen Maßregelvollzug – auch ein Kostenfaktor.

Wurden Ende vergangenen Jahres 38 Patienten durch die Ambulanz behandelt, soll ihre Zahl bis Ende 2008 „schrittweise“, so Stienen, auf 75 erhöht werden. Die Besonderheit der Einrichtung besteht darin, dass hier dieselben Psychologen, Ärzte und Sozialarbeiter weiter betreuen, die schon zuvor an der Therapie beteiligt waren. Und anders als beim niedergelassenen Arzt hängt die Intensität der Behandlung nicht davon ab, ob und wie oft der Patient sich auf den Weg in die Praxis macht. Kommt er nicht in die Ambulanz, ins „Haus 18“, dann suchen ihn seine Ärzte zu Hause oder am Arbeitsplatz auf. Dadurch, sagt Knecht, „kann uns kein Patient verloren gehen“. Der Psychiater bezeichnet die Ambulanz als Erfolgsmodell. 40 forensische Patienten sind in der Nachbehandlung des AKO – Rückfälle, neue Straftaten gab es bisher keine.

Nach dem Hamburger Vorbild hat auch die psychiatrische Klinik in Neustadt/Holstein eine Ambulanz eröffnet. Die muss Knecht zufolge allerdings aus dem Etat der Klinik finanziert werden: Das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium übernimmt die Kosten nicht – noch nicht. Denn sollte der Entwurf des Bundesjustizministeriums Gesetz werden, dann müssen die verantwortlichen Ministerien aller Länder die Finanzierung von derartigen Nachsorgeambulanzen sicherstellen.

Für das niedersächsische Gesundheitsministerium, erklärt der dortige Sprecher Bernhard Turowski, ist die Finanzierung ohnehin Landessache. Für forensische Ambulanzen gibt es einen gesonderten Etat. In Hamburg wird die Ambulanz inzwischen ausgebaut. Hier werden probeweise auch Patienten betreut, die zuvor nicht in der Forensischen Psychiatrie untergebracht waren, sondern in ganz normalen Gefängnissen.

Fachleute aus Psychiatrie und Justiz hoffen, dass psychisch kranke Straftäter bei intensiver Anschlussbetreuung früher aus der geschlossenen Psychiatrie entlassen werden können. Denn die durchschnittliche Verweildauer der dort Untergebrachten hat sich bundesweit in den vergangenen Jahren von fünf auf sieben Jahre erhöht, in Hamburg von 4,6 auf 4,9 Jahre. Der Fall des „Kunstschänders“ Hans-Joachim B. zeigt, dass fachkundige Behandlung bei psychisch erkrankten Straftätern große Erfolge bewirken kann – und ihre Versagung zur Katastrophe führen kann. So war B. seit seinem 18. Lebensjahr in Behandlung, weil sein Leben von Ängsten und Zwängen bestimmt wurde. In den 70er Jahren unterzog er sich deshalb sogar einer Hirnoperation – erst in deren Folge wurde Hans-Joachim B. zum Straftäter.