: Der Traum vom Fliegen
Klaus Wowereit schwärmt im Abgeordnetenhaus von der Jobmaschine Großflughafen. Träumt er zu Recht von 40.000 neuen Jobs? Eine Analyse
von RICHARD ROTHER
Der Traum von der Jobmaschine Großflughafen – die gestrige Debatte im Abgeordnetenhaus war davon geprägt. Dabei steht heute nur so viel fest: Der neue Berliner Zentralflughafen in Schönefeld ist kein Garant für einen Aufschwung, wäre dafür aber eine Unterstützung. Und ob er die erhofften 40.000 zusätzlichen Jobs bringen kann oder ob es weniger werden, ist zweitrangig. Unstrittig ist – nicht nur bei allen fünf Parteien: Der neue Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) ist sinnvoll, und er wird die Chancen der Stadt verbessern.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) rechnet mit bis zu 40.000 neuen Jobs. „Das sind nicht irgendwelche spekulativen Hoffnungen, sondern realistische Erwartungen, die auf den Erfahrungen anderer Flughafenstandorte beruhen.“ Pro eine Million Fluggäste entstünden 1.000 neue Jobs, weitere durch Neuansiedelungen.
Die Grünen zweifeln am Jobwunder. 40.000 Jobs würden es nicht werden, so Fraktionschef Volker Ratzmann. „Aber es werden welche entstehen – und die wollen wir haben.“ Auch die Grünen-Wirtschaftsexpertin Lisa Paus ist skeptisch. „40.000 neue Jobs sind eine Illusion“, so Paus. Zunächst werde es eine Verlagerung der Flughafenjobs von Tegel und Tempelhof nach Schönefeld geben. „Dabei können sogar Stellen wegfallen.“ Der Flughafen habe aber positive Effekte. Paus: „Der Flugverkehr wird wachsen, und das bringt mehr Jobs.“ Dämpfend wirke sich aus, dass der Frachttransport weitgehend wegfalle. „Der geht wohl hauptsächlich nach Leipzig.“
Die Flughafenplaner gehen dagegen von knapp 40.000 zusätzlichen Jobs durch den Flughafen aus; hinzu kommen die Einmaleffekte durch den Bau, die sich bis 2010 auf durchschnittlich 7.200 zusätzliche Jobs pro Jahr summieren. Dies hat der Kölner Verkehrswissenschaftler Herbert Baum in einem Gutachten für die Berliner Flughäfen errechnet. Wichtig sind vor allem die Langfrist-Effekte: Bislang sind 33.600 Arbeitsplätze direkt, indirekt oder durch Kaufkrafteffekte von den Berliner Flughäfen abhängig, so Baum. Im Jahr 2012, ein Jahr nach BBI-Eröffnung, sollen es schon 73.000 Jobs sein – ein Plus von 39.400.
Diese wundersame Jobvermehrung soll durch mehrere Faktoren zustande kommen. Die direkte Beschäftigung am Flughafen steigt laut Baum von 13.400 im Jahr 2004 auf 17.100 in 2012. Bei diesem Plus von 3.700 Jobs, das auf das wachsende Passagieraufkommen zurückzuführen ist, hat Baum schon den Effekt herausgerechnet, dass bei immer höheren Abfertigungszahlen prozentual weniger Beschäftigte nötig sind, um die Arbeit zu bewältigen. Mehr Passagiere geben allerdings auch mehr Geld aus; so sollen sich die Jobs, die durch zusätzliche Kaufkraft entstehen, um 3.600 auf 12.200 im Jahr 2012 vermehren.
Das Gros der Jobzunahme – nämlich mehr als drei Viertel – resultiert aber aus den so genannten Standorteffekten. Diese sollen mehr als 32.000 zusätzliche Jobs bringen. Eine Rechnung, die auf Prognosen beruht, die kaum überprüfbar sind. So sollen mehr als die Hälfte dieser zusätzlichen BBI-Jobs dadurch entstehen, dass sich die Unternehmen der Region verbesserte Absätze versprechen und durch den Flughafenbau Wachstumsimpulse ausgelöst werden. Ein Plus von 13.500 Jobs wird erwartet, weil viele Firmen eine Verlagerung nach Berlin planten – weil Berlin durch den BBI besser angebunden ist. Die Erreichbarkeit spielt bei Firmenverlagerungen eine wichtige, aber sicher nicht die entscheidende Rolle; zudem ist Berlin bereits heute schon gut erreichbar.
Mag also sein, dass die Prognosen zu optimistisch sind. Dass mehr Passagiere mehr Jobs bringen und dass Investitionen von 3 Milliarden Euro nicht spurlos am Arbeitsmarkt vorübergehen werden, lässt sich nicht bezweifeln. Die Konzentration des Flugverkehrs auf einen Standort und die Verlagerung aus der Innenstadt sind ökonomisch und ökologisch ohnehin sinnvoll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen