Molekulare (De)Komponisten

ELECTRONICA Generative Musik, Klang des Denkens oder philosophischer Angriff auf das Phänomen Musik? Das britische Elektronik-Duo „Autechre“ frickelt sich auf seinem aktuellen Album „Oversteps“ durch die Geschichte der repetitiven Musik

Vielleicht ist der Versuch, zu Architektur zu tanzen, doch der richtige Hinweis

VON ROBERT MATTHIES

Über Musik zu reden oder zu schreiben, das ist, als wolle man zu Architektur tanzen, hat der Komiker Steve Martin einst das Dilemma jeglicher Kritik benannt. 2002 stand der Grafikdesigner Alex Rutterford vor einem ähnlichen Problem: ein Video zum Stück „Gantz Graf“ des britischen Duos „Autechre“ zu drehen. Die zündende Idee zur längst zum CGI-Klassiker avancierten Umsetzung der polyrhytmischen Komposition von Rob Brown und Sean Booth kam Rutterford nach eigener Aussage während eines LSD-Trips: eine abstrakte Agglomeration von Objekten bewegt und transformiert sich per paralleler Programmierung synchron zur abstrakt verschachtelten Rhythmik des Stücks und setzt Frequenzen präzise in graphisches Pulsieren, Verwandeln und schließlich Auflösen um. Ohne jegliches generative Moment: Jedes dreidimensionale Objekt wurde manuell mit einem bestimmten Element oder einer Frequenz des Stücks synchronisiert.

Die schreibende Zunft war da bislang sprachloser. Als fraktale, autonome oder generative Musik hat man zu beschreiben versucht, was die beiden Freunde aus Rochdale ihrem Komplex aus Synthezisern, Samplern und Software entlocken. Weil die pedantisch positionierten und ausdifferenzierten Klanggebilde einer permanenten Modulation unterliegen, Struktur und Form so gemächlich kristallisieren wie sie sich abrupt auflösen und neu verketten.

Den Klang des Denkens selbst, das rastlose Spiel der Synapsen als Musik, haben andere darin erkannt. Respektive einen philosophischen Angriff auf das Phänomen Musik selbst. Oder doch nur eine hermetische Halluzination zweier Wahnsinniger?

Vielleicht ist der Versuch, zu Architektur zu tanzen, doch der richtige Hinweis. Denn Musik ist für Brown und Booth vor allem Mathematik und Simulation. Rechne man das hedonistische Moment heraus, werde etwa Acid House zu einer geometrischen, funktionalen Musik, zu Musik als Algorithmus. Und so simulieren „Autechre“ wie besessen physikalische Formeln wie etwa zum Verhalten von Wasser oder Gas in n-dimensionalen Räumen. Datenmaterial, das anschließend nach exakten Regeln manipuliert, fragmentiert, dekomponiert und rekombiniert wird.

Auf ihrem aktuellen Album „Oversteps“, das die Briten am Dienstag im Uebel & Gefährlich vorstellen, haben Booth und Brown dabei wieder ein wenig die Richtung geändert. Waren die Vorgänger „Quaristice“, „Untilted“ und „Draft 7.30“ vor allem polyrhythmische Experimente, kehren „Autechre“ mit „Oversteps“ wieder zu reduzierten Sphären und melodischen Spielereien zurück, wie sie auf den ersten Alben wie „Amber“ im Vordergrund standen. Das macht „Oversteps“ zugänglicher, ohne dass Spannung oder Komplexität darunter leiden. Denn musikalisch spannt das Duo den Bogen weiter als bisher: „Oversteps“ erweist dem Minimalismus Steve Reichs oder Terry Rileys ebenso die Ehre wie Krautrockern wie „Can“, „Kraftwerk“ oder „Coil“. Ohne dass das Duo auf Assoziationen angewiesen wäre, am Ende kommen „Autechre“ bei sich selbst an. Fehlt nur der Körper, der dazu tanzen kann.

■ Di, 6. 4., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66