Die gute alte Kunst-für-alle-Zeit

AUSSTELLUNG Mit der Leistungsschau „35 Jahre – 35 Bilder“ gibt die Graphothek anlässlich ihres Jubiläums Einblick in eine renommierte Sammlung, die sonst für jeden ausleihbar ist

von Jan Zier

Die Graphotek ist, von der Idee her, im Grunde total „Siebziger“. Ja, sie ist ein Relikt aus der Kunst-für-alle Zeit, als der Markt noch nicht das einzig Ausschlaggebende war. Eine Zeit, in der Bremen ein Programm für Kunst im öffentlichen Raum auflegte. Das ist lange her. Und doch mit dieser Hilfe ist die größte Sammlung an zeitgenössischer internationaler und regionaler Grafik in Bremen entstanden. Sie umfasst über 3.500 Grafiken und Fotos, Siebdrucke und Radierungen, Objekte und Videos von insgesamt 1.200 KünstlerInnen. Und alle diese Originale sind für jeden ausleihbar.

Das heißt: Im Moment nicht. Da fehlen jene 35 Werke, die jetzt ganz museal und mithin im Gegensatz zur Idee der Graphothek im Wall-Saal der Stadtbibliothek präsentiert werden, in der Ausstellung zum 35. Geburtstag. Es ist ein „Best of“, sagt der Kunsthistoriker Detlef Stein, der diese „Leistungsschau“ kuratiert hat. Zugleich sollen die wichtigsten Strömungen zeitgenössischer Kunst abgebildet werden, Pop Art und Fluxus, Surrealismus und Minimalismus, die figürliche Malerei.

Ein Herzstück der in Bremen mehrfach umgezogenen Sammlung fehlt – der Polit-Plakatkünstler Klaus Staeck, seinerzeit sehr umstritten, ist bei „35 Jahre – 35 Bilder“ gar nicht vertreten, wohl aber in der Sammlung mit über 100 Werken. Ansonsten aber findet sich hier alles, was Rang und Namen hat: Etwa Joseph Beuys mit einer „Fettzeitung“, die seinerzeit 462 Mark kostete, inzwischen aber so porös ist, dass sie jetzt aus dem Leihverkehr genommen werden musste. Dass sie in einer Vitrine liegt ist übrigens gut so: Der Duft jahrzehntelang abgestandenen Fetts ist intensiv, erinnert ein wenig an Wachsmalkästen von früher.

Auch Man Rays Ikone gewordene „Le Violon d’Ingres“ ist dabei, neben zahlreichen anderen seiner Fotografien, dazu ein Druck von Richard Hamilton aus einer Mick-Jagger-Serie, der mal für 3.500 Mark zu haben war und auf den sie in Bremen besonders stolz sind. Und so weiter: Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg, Gerhard Richter: Die Graphothek, keine Frage, war einst ein Renommierprojekt. 100.000 Mark standen anfangs pro Jahr zur Verfügung, doch seit Mitte der Neunziger kann gar nichts mehr eingekauft werden. Eines der letzten Werke, die hinzu gekommen sind, war eines der Bremers Norbert Schwontkowski, ein ganz typisches übrigens.

Wer heute online nach einem der Objekte sucht, findet sie zunächst einmal nach Größe sortiert. Irritierenderweise. Und doch: Viele wollen nicht nur ein Original an der Wand haben, es muss eben auch an den vorgesehenen Platz passen. Der Grat zwischen Kunst und Dekoration ist bisweilen schmal.

Doch während 1995 noch fast 8.665 Entleihungen verzeichnet wurden, waren es 2009 nicht einmal mehr 3.000. Damit sich das ändert, gibt es jetzt innerhalb Bremens eine Fernleihe, und auch in der Stadtbibliothek selbst soll die Graphothek weniger stiefmütterlich behandelt werden. Es gibt auch keinen Grund, sie zu verstecken.

Bis 30. April, Wallsaal