Die schönen Tage sind vorbei

KRISENLAND Der griechische Schriftsteller Petros Markaris über die hausgemachten Ursachen von Griechenlands Pleite und das Verhältnis zu den Deutschen

Alle Welt konnte sich bei den Bränden 2007 ein Bild davon machen, wie unfähig der Staatsapparat ist

VON PETROS MARKARIS

Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.“ So fängt „Don Karlos“ an. Friedrich Schiller hat den Vers nicht für die Griechen geschrieben. Dass er trotzdem auf sie zutrifft, ist reiner Zufall. Griechenland erlebt derzeit seine wohl schwerste Krise der Nachkriegszeit, und sie ist zu neunzig Prozent hausgemacht. Mittlerweile gibt das der größte Teil der Bevölkerung ohne Wenn und Aber zu. Worauf sich die Griechen nicht einigen können, ist, wann dieses große finanzielle Desaster begonnen hat. Die meisten beschuldigen die zwei Regierungen der Partei Nea Dimokratia unter Premierminister Kostas Karamanlis, die das Land von 2004 bis 2009 regierten. Andere gehen bis zum Anfang der 80er-Jahre zurück, in die Zeit also, als Griechenland in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) kam. Jene, die so argumentieren, verweisen zu Recht auf die zwei Finanzkrisen: die erste von 1985, als das Staatsdefizit auf 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stieg, und die zweite, die Anfang der 90er-Jahre kam. Demnach wäre die Krise, die wir jetzt erleben, die dritte und die schlimmste.

Das klingt zwar nach einem überzeugenden Zusammenhang, doch ich glaube, dass der Ursprung der gegenwärtigen Krise in den Olympischen Spielen von 2004 liegt. Der Etat der Olympischen Spiele betrug 2,4 Milliarden Euro. Offiziell haben sie aber 11,5 Milliarden gekostet. Die zusätzlich benötigten Milliarden wurden mit Krediten finanziert. Fast ein Fünftel der Kreditsumme, die das Land heute braucht, geht also auf die Olympiade zurück. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Kredit, von dem in der letzen Zeit in der EU viel die Rede ist. Im Jahre 2002 verschaffte die Bank Goldman Sachs Griechenland einen Kredit in Höhe von 1 Milliarde Euro. Dieser Kredit floss weder in die Wirtschaft noch in die Rüstungsausgaben, sondern wie eine Reihe weiterer Kredite in die Olympischen Spiele. Die Griechen hatten eine eindrucksvolle Eröffnungsfeier, sie feierten den Erfolg Griechenlands, zumal das Land vor den Spielen von vielen unterschätzt, sogar verpönt wurde, fragten aber nicht nach der Rechnung und wer sie bezahlen sollte.

Täter und Opfer

Wir Griechen versuchen, mit oder ohne die EU, immer das Symptom zu heilen und nicht die Ursache. Denn das Problem Griechenlands ist primär ein politisches. Die finanziellen Krisen kehren immer wieder zurück, sie sind die Folge einer jahrelangen falschen Politik.

Griechenland war bis 1981 ein armes Land, das aber mit seiner Armut anständig leben konnte. Dann begannen die EWG-Subventionen zu fließen. Zum ersten Mal in der neugriechischen Geschichte hatte die Regierung volle Kassen. Andreas Papandreou, der Premierminister der ersten Pasok-Regierung, versuchte damit, die Gunst der Wählerschaft zu gewinnen. Er ließ es zu, dass die Subventionen an Privilegierte verteilt und für andere Zwecke verwendet wurden als jene, die von der EWG und später von der EU vorgeschrieben waren. Das war eine politische Entscheidung, und es war der Anfang einer Klientelwirtschaft zum Zweck der Wiederwahl, die dann von allen Regierungsparteien weitergeführt wurde. Jede Regierung brachte ihre eigenen Leute im Staatsapparat unter, der so aufgepumpt wurde, bis er funktionsunfähig war. Alle Welt konnte sich während der Brände 2007 ein Bild davon machen, wie unfähig dieser Staatsapparat ist.

Die Korruption, die heute von der ganzen EU und vor allem von den Deutschen beklagt wird, hat ihre Anfänge in dieser Zeit. Nur sollte man dabei bedenken, dass die Korruption ein Verbrechen ist und wie jedes andere Verbrechen Täter und Opfer braucht. Und die Opfer sind weder die EU noch die Deutschen, sondern fast nur die Griechen selbst. Die Übertreibung also, dass Griechen allesamt korrupt seien, trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass der größte Skandal der letzten dreißig Jahre, der Siemens-Skandal, kein griechischer war.

Ein Jahr nach dem Kredit für die Olympiade verschaffte die Londoner Niederlassung der Deutschen Bank in Zusammenarbeit mit der Commerzbank Griechenland einen Milliardenkredit für den Kauf von Rüstungsgütern. Damit sind wir beim zweiten Teil der politischen Entscheidungen, und das sind die Rüstungsaufträge. Griechenland zahlt seit Jahren enorme Beträge für Rüstungsaufträge, die sich ein kleines Land auf die Dauer nicht leisten kann. Sie werden mit dem soliden Argument „Konflikt mit der Türkei“ begründet. Von diesen Aufträgen profitieren aber weder die auf Pump lebenden Griechen noch der kranke griechische Staatsapparat, vielmehr profitiert Deutschland mit seinen Eurofightern und „Leopard“-Panzern, Frankreich mit seinen Mirages und auch Russland mit seinem TOR-M1-Raketensystem.

Noch vor ein paar Monaten, inmitten der Finanzkrise, bekam Deutschland einen saftigen Rüstungsauftrag für „Leopard“-Panzer und zwei U-Boote zusätzlich zu einem früheren Auftrag. Bei seinem letzten Besuch in Griechenland versuchte der deutsche Außenminister, uns Mut zu machen, indem er uns versicherte, dass die rigorosen Sparmaßnahmen der Regierung Erfolg haben würden. Gleichzeitig warb er aber hinter den Kulissen für einen Auftrag für Eurofighter. Die EZK-, Eurostat-, und IWF-Experten, allen voran Herr Olli Rehn, kamen mit Riesenscheren nach Griechenland, um überall zu schneiden und zu kürzen, nur die Rüstungsausgaben wurden nicht angetastet, womöglich um einige Staaten der Eurozone nicht zu verärgern.

Nun sieht der griechische Stabilitäts- und Wachstumspakt ungefähr so aus: Gekürzt wird vor allem an den Gehältern des öffentlichen Sektors. Die Rüstungsausgaben bleiben unangetastet, damit das Wachstum von bestimmten Europartnern Griechenlands nicht gefährdet wird. Die Schuld dafür schieben die Griechen, die diese Vorgehensweise stillschweigend akzeptieren, den Türken in die Schuhe.

Einige deutsche Blätter, Journalisten und mittlere Parteifunktionäre, die uns in jüngster Zeit empfehlen wollten, die Akropolis oder einige Inseln zu verkaufen, um unser Kreditvolumen zu verringern, hätten uns einen besseren Dienst erwiesen, wenn sie uns geraten hätten, mit unseren Rüstungsausgaben sparsamer umzugehen.

Die Deutschen auf Kreta

Es ist auch naiv, die Empörung der Griechen über solche Aussagen damit abzutun, dass man diese Empörung auf Traumata aus der deutschen Besatzungszeit zurückführt. Das ist ungefähr wie das Argument der Israelis, jeder, der die israelische Politik kritisiere, sei ein Antisemit. Das haben die Griechen wirklich nicht verdient. Ich habe mir immer den Kopf darüber zerbrochen, wie es dazu kommen konnte, dass die Griechen die ehemaligen Besatzer höher schätzen und freundlicher aufnehmen als ihre ehemaligen Befreier, die Briten und die Amerikaner. Nirgendwo sonst in Griechenland war die deutsche Besatzung so brutal wie auf Kreta. Auf Kreta, in der Nähe von Chania, gibt es heute ein deutsches Dorf. Die Deutschen leben dort das ganze Jahr, haben eine sehr enge und freundschaftliche Beziehung zu den Kretern. Dieses Verhältnis ist jetzt gestört, teils wegen der Arroganz deutscher Medien, teils aber auch wegen der völlig deplatzierten Aussagen griechischer Politiker. Jedenfalls haben weder die Deutschen noch die Griechen etwas davon.

Es ist auch ungerecht, dass man nur die Griechen beschuldigt, weil sie getrickst haben, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Das haben auch viele andere Länder getan. Man vergisst heute geflissentlich, dass der Beitritt aller Länder zur Währungsunion eine politische und keine finanzielle Entscheidung war, so wie auch die Einführung des Euros eine politische mit flüchtiger finanzieller Vorbereitung war. Die Folgen dessen bekommt die Eurozone heute zu spüren. Irland wird weder der Korruption noch der Vetternwirtschaft oder der Steuerhinterziehung beschuldigt, steht aber nicht besser da als Griechenland. All das lässt sich mit Schiller nicht erklären, wohl aber mit Brecht. „Mein Geld will ich, und mein Gewissen rein“, heißt es in der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“.

So ungefähr sieht heute die Eurozone aus. Brecht hat in der Dreigroschenoper auch etwas anderes gesagt, was heute sehr aktuell ist: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Die Deutschen, die Dutzende Milliarden Euro aus Steuergeldern in ihre Banken gepumpt haben, werden es wohl besser verstehen.