Fein ausgeklügelte Hochgeschwindigkeitskonter

BAYER Die Dreifachsechs steht, und vorne glänzen Sam und Kießling: Leverkusen hat als Kollektiv den nächsten Schritt gemacht

Es ist ein seltsames Ritual, das sich nach Spielen von Bayer Leverkusen etabliert hat. Wenn Stefan Kießling vor die Journalisten tritt, wird erst kurz über die Partie geplaudert, der Vereinsrekord von nunmehr acht Bundesligasiegen in Folge sei eine „Superserie“, erklärte der Stürmer nach dem herrlich anzusehenden 4:2 gegen Mönchengladbach.

Doch dann muss der arme Mann immer wieder über das Thema reden, über das es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt. Bis ihm am Samstag der Kragen platzte. „Für mich ist die Sache durch, ich komme damit klar, und alles, was bei der WM ist, interessiert mich einen völligen Käse“, schimpfte er angesichts seiner Aussichten, noch einmal fürs Nationalteam zu spielen.

Bundestrainer Joachim Löw war an diesem Nachmittag persönlich zugegen und sehr angetan. „Beim nächsten Doppelspieltag wird sich der eine oder andere, der heute dabei war, in unserem Kader wiederfinden“, kündigte er an, aber vermutlich meinte er nicht Kießling, sondern Lars Bender, Gladbachs Max Kruse und vor allem den großartigen Sidney Sam. Man konnte nach der Partie darüber streiten, wer denn nun besser war: Sam, der das 2:0 (28.) und das 3:2 (60.) geschossen hatte und die Vorlage zu Gonzalo Castros 4:2 gab (72.)? Oder Kießling, der den Handelfmeter zum 1:0 verwandelt (23.), das zweite und das dritte Tor vorbereitete, an den Pfosten köpfte und ein Dutzend weiterer guter Offensivaktionen hatte?

Dabei trat das gesamte Leverkusener Kollektiv, bis auf die fünf Minuten, in denen Martin Stranzl (53.) und Juan Arango (57.) zum 2:2 trafen, sehr überzeugend auf. „Wir haben nicht nur spielerisch super nach vorne gespielt, sondern auch gekämpft und gerackert“, sagte Kießling, der sein 100. Bundesligator für Leverkusen erzielt hatte.

In Bayers 4-3-3-System fand die vor einer Woche noch gefeierte Gladbacher Offensive praktisch keine Lücken. Und nach Balleroberungen rollen, wie schon im Vorjahr, fein ausgeklügelte Hochgeschwindigkeitskonter über den Gegner hinweg. „Kompakt stehen und dann sehr gut nach vorn spielen, das ist, was wir können“, sagte Sam.

Bayer Leverkusen hat das Erfolgskonzept des Vorjahres verfeinert, die Defensive profitiert, weil das Innenverteidigerduo mit den erfahrenen Emir Spahic und dem gereiften Ömer Toprak bestens harmoniert, weil die Dreifachsechs die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive findet und weil Sam neben dem konstant überragenden Kießling einen beachtlichen Entwicklungsschritt gemacht hat.

In Leverkusen, wo sie in den vergangenen Jahren immer davon gesprochen haben, vor allem auf junge deutsche Spieler setzen zu wollen, hat sich ein leiser Paradigmenwechsel vollzogen. Am Samstag war Toprak mit 24 Jahren der Jüngste in der Viererkette, davor spielte mit Castro (26), Lars Bender (24) und Stefan Reinartz (24) ein Trio im besten Fußballeralter, das insgesamt über die Erfahrung von 468 Bundesligaspielen verfügt. Kießling (29) vorne ist ohnehin ein Routinier, die 21-jährigen Bernd Leno und Heung-Min Son sind derzeit die jüngsten Stammspieler.

Vor allem aber sitzen die Details. „Wir haben das System verinnerlicht, weil wir das schon in der letzten Saison genauso gespielt haben“, meinte Sam, „die Automatismen sind da.“ Und jetzt trauen sie sich sogar zu, ganz oben mitzuspielen, wie Stefan Reinartz andeutete: „Dass wir auf Mannschaften wie Wolfsburg oder Schalke schon ein kleines Polster haben, ist sehr gut“, sagte der Mittelfeldspieler. „Wir haben nur gehofft, dass die Bayern und Dortmund nicht von Anfang an mitmarschieren.“

DANIEL THEWELEIT