Träumen und kämpfen

HOFFNUNG Eine große Kundgebung erinnert an die berühmte Rede von Martin Luther King. Sie will zugleich erreichen, dass sich die Jugend der Bürgerrechtsbewegung anschließt

„Wir fahren anschließend nach Hause und agitieren“

BÜRGERRECHTLER JOSEPH LOWERY

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Sie trugen Fotos von zwei Männern, die sich im Leben nie begegnet sind – von Martin Luther King, dem Bürgerrechtler, und Trayvon Martin, dem erschossenen Teenager. Zigtausende Amerikaner versammelten sich am Samstag in Washington zu einer großen Demonstration, um an den großen Traum zu erinnern, den King vor 50 Jahre auf den Stufen des Lincoln Memorials beschworen hatte – den Traum von einem Land, in dem die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt. Der in Florida getötete Martin stand dabei vor allem für jüngere Teilnehmer stellvertretend für die Erfahrung der Gewalt gegen Afroamerikaner.

Eindringlich appellierten die RednerInnen – darunter Veteranen der Bürgerrechtsbewegung von 1963, Prediger und demokratische Politiker – an die Menge, nicht aufzugeben. „Ich habe in Alabama mein Blut für das Wahlrecht vergossen“, sagte der Kongressabgeordnete John Lewis, der als studentischer Aktivist auch schon vor einem halben Jahrhundert am Mikrofon gestanden hatte: „Ich werde jetzt nicht tatenlos zusehen, wie unser Wahlrecht uns wieder genommen wird. Es ist das mächtigste gewaltfreie Werkzeug, das wir haben.“ Lewis war während der Bürgerrechtsbewegung 40-mal verhaftet und mehrfach blutig und bewusstlos geprügelt worden.

Das Thema Wahlrecht ist wieder aktuell, seitdem das oberste Gericht Ende Juni dieses Jahres sämtlichen Bundesstaaten freigestellt hat, die Regeln eigenmächtig zu verändern. Bis dahin mussten einige Südstaaten – aufgrund einer Vorschrift von 1965 – in solchen Fällen die Zustimmung des Justizministeriums in Washington einholen. Gleich nach der jüngsten Entscheidung der obersten RichterInnen legten North Carolina, Texas und andere Südstaaten Gesetze vor, die den Zugang zur Wahlurne erschweren.

Mit der Kundgebung in Washington wollten die TeilnehmerInnen nicht nur der großen „Traum“- Rede Kings gedenken. Sie war zugleich der Versuch, eine neue Generation von AfroamerikanerInnen in die Bürgerrechtsbewegung hineinzuführen. Auf Transparenten und in den Reden erinnerten sie an die besonderen Probleme der schwarzen Bevölkerung der USA: Dazu gehören Armut (40 Prozent der afroamerikanischen Kinder wachsen in Armut auf) und doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie in der weißen Bevölkerung; es gibt mehr Schulabbrecher als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe und Überrepräsentation in den Gefängnissen.

In Sachen Wahlrecht kündigte der Prediger Al Sharpton an, dass in den kommenden Wochen Aktivisten in jene Bundesstaaten gehen werden, die das Wahlrecht für Minderheiten – unter anderem mit der Einführung neuer Ausweispflichten – einschränken wollen. Und er schlug auch vor, im nächsten Jahr – bei den Halbzeitwahlen – eine Reihe von Abgeordneten abzulösen.

Seine Liste von Themen, um die es heute geht, ist lang: Dazu zählen unter anderem die Schusswaffengewalt und die in mehr als 20 Bundesstaaten eingeführten „Stand your Ground“-Gesetze, die tödliche Schüsse zur „Selbstverteidigung“ erlauben.

Prediger Sharpton versuchte auch der jüngeren Generation ins Gewissen zu reden. Dabei sprach er ein paar unangenehme Themen an: Kein Bürgerrechtler hätte sein Leben dafür gegeben, sagte er, damit die Nachfahren Ganove spielen. Er erinnerte daran, dass heutige afroamerikanische Jugendliche ihre Chancen der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre zu verdanken haben – insbesondere „Großmüttern, die nie eine Schule von innen gesehen haben und für euch aufgestanden sind“. Für seinen eindringlichen Appell an die jungen Männer, ihre Frauen zu respektieren, erntete er großen Beifall.

Einer der Wegbegleiter Kings, der heute 92-jährige Joseph Lowery, forderte seine Zuhörer auf, es nicht bei einer Gedenkveranstaltung zu belassen: „Wir sind zur Erinnerung nach Washington gekommen“, sagte er, „und wir fahren anschließend nach Hause und agitieren. ’’