Waffengang als chemische Reaktion

WESTEN Die USA prüfen alle Optionen für einen militärischen Einsatz gegen das Assad-Regime. Doch Präsident Obama macht deutlich, dass die USA keinen Alleingang wollen – obwohl der Westen immer mehr Hinweise für einen Chemiewaffeneinsatz zu besitzen glaubt

■ Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den mutmaßlichen Giftgasangriff bei Damaskus als „furchtbare Tragödie und Verbrechen“ bezeichnet. „Diese Situation kann nicht weitergehen“, sagte der israelische Regierungschef. „Die gefährlichsten Regimes der Welt dürfen nicht die gefährlichsten Waffen der Welt haben.“ Israel wisse seine Bürger im Notfall selbst zu verteidigen, betonte er. Man werde sich verantwortlich verhalten, aber „notfalls ist unser Finger am Abzugshahn“, sagte Netanjahu.

■ Die israelische Justizministerin Zipi Livni betonte angesichts eines möglichen US-Militärschlags in Syrien, Israel verfolge weiterhin eine Politik der Nichteinmischung. Eine US-Reaktion würde aber die syrische Armee vor künftigen Chemiewaffeneinsätzen abschrecken. (dpa, ap)

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

„Wir sind bereit“, sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Kuala Lumpur. Zuvor hatte US-Präsident Barack Obama das Pentagon damit beauftragt, „alle Optionen für einen Einsatz in Syrien“ vorzubereiten. Das US-Militär hat mehrere Kriegs- und Nachschubschiffe in den Südosten des Mittelmeers verlegt. Sie sind unter anderem mit Marschflugkörpern bewaffnet, die syrische Ziele angreifen könnten. Doch laut Hagel ist noch keine Entscheidung über einen Einsatz gefallen. Der Verteidigungsminister fügte hinzu, dass jede Option „Risiken und Konsequenzen“ beinhaltet. Zu den in Washington erwogenen „Optionen“ scheinen sowohl gezielte Luftangriffe auf syrische militärische Ziele, die Schaffung einer regionalen Flugverbotszone als auch die Entsendung von Kriegsmaterial an die syrischen Rebellen zu gehören.

Beinahe zeitgleich verlautete am Sonntag aus Damaskus, dass die syrische Regierung einer UN-Inspektion am Schauplatz des tödlichen Angriffs, dem Vorort Ghuta im Osten von Damaskus, nun doch zugestimmt hat. Das Büro von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte daraufhin in New York, dass die Inspektion schon am Montag stattfinden wird. Allerdings meldeten Nachrichtenagenturen aus Damaskus, dass die syrische Regierung den Termin für die Inspektion festlegen will. Die zuständige UN-Beauftragte Angela Kane weilt seit Samstag zu Verhandlungen in Damaskus.

Das Assad-Regime bestreitet weiterhin, dass es einen Chemiewaffenangriff verübt hat. „Wir haben niemals Chemiewaffen in Syrien eingesetzt – in welcher Form auch immer, flüssig oder Gas“, sagte der syrische Informationsminister Omran Al-Sohbi. Nach Informationen in Washington beschießen syrische Regierungstruppen jedoch seit Mittwoch weiterhin den Vorort. Damit könnten „Beweise“ zerstört werden, hieß es in Washington.

In Washington ist unterdessen die Gewissheit gewachsen, dass die syrische Regierung hinter dem Chemiewaffeneinsatz steckt. Am Samstag verlautet aus dem Weißen Haus, dafür gebe es „zunehmende Anzeichen“. Zuvor hatte Präsident Barack Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN die Informationen „besorgniserregend“ genannt.

Aber zugleich machte er erneut klar, dass er eine unilaterale Aktion der USA nicht in Erwägung zieht. „Die Hoffnung, dass die USA den Konflikt in Syrien lösen könnten, ist manchmal übertrieben“, sagt er. Und er fügte hinzu, die Vereinten Nationen und die Nato müssten bei einem Militärschlag dabei sein. Das Stichwort von der „roten Linie“, das er selbst geprägt hat, um zu definieren, dass die USA bei einem Chemiewaffeneinsatz des Regimes militärisch in den seit zweieinhalb Jahren eskalierenden Konflikt eingreifen würden, vermied Obama.

Der US-Präsident und zahlreiche andere Regierungschefs haben am Wochenende über militärische Aktionen in Syrien gesprochen. Im Weißen Haus tagte das Nationale Sicherheitskommitee. Das Gremium war bemüht, Berichte von Augenzeugen und Geheimdienstberichte über einen möglichen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierung gegen ihre eigene Bevölkerung abzusichern. Mindestens 15 Personen waren an dem Samstagstermin beteiligt, darunter Vizepräsident Joe Biden, Außenminister John Kerry und – aus der Ferne – Verteidigungsminister Chuck Hagel. Nach Informationen des Weißen Hauses ist der Nationale Sicherheitsrat noch mit dem „Zusammentragen von Beweisen“ beschäftigt.

In einem Telefonat mit dem britischen Premierminister haben sich Obama und David Cameron am Samstag gegenseitig ihre „große Sorge“ bestätigt und abgesprochen, dass sie sich weiterhin eng über „mögliche Antworten der internationalen Gemeinschaft“ konsultieren wollen.

„Die Hoffnung, dass die USA den Konflikt lösen könnten, ist etwas übertrieben“

US-PRÄSIDENT BARACK OBAMA

Am selben Tag sprachen auch der französische Präsident François Hollande und der australische Regierungschef Kevin Rudd miteinander. Hollande sprach anschließend von einem „Bündel von Informationen“, über das er verfüge und das auf eine Regierungsverantwortung für den Chemiewaffeneinsatz hinweise. Auch der Franzose und der Australier wollen ihre enge Abstimmung fortsetzen.

Bei der internationalen Aufgabenteilung übernahm Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Part der Kritik an Russland und China. In einem Interview kritisiert sie deren Blockadehaltung im UN-Weltsicherheitsrat.

Aus Damaskus und Teheran kamen derweil unverhohlene Drohungen an die Adresse der USA. Aus der syrischen Spitze verlautete, eine US-geführte Militärintervention werde „kein Picknick“. In der iranischen Hauptstadt Teheran warnte der Vizechef der iranischen Streitkräfte, Massud Jazayeri: „Amerika weiß, dass jede Überquerung der syrischen roten Linie schwere Konsequenzen für das Weiße Haus haben wird.“