Lebenslang für Hatuns Brüder gefordert

Staatsanwalt plädiert im Fall des Mordes an der 23-jährigen Hatun Sürücü für zweimal lebenslänglich. Ihre Brüder hätten die Mutter eines Sohnes heimtückisch zu einer „eiskalten Hinrichtung“ aus der Wohnung gelockt. Prozess wird fortgesetzt

Staatsanwalt: „Alle drei haben ihre Schwester getötet, sie bereuen nichts“

AUS BERLIN PLUTONIA PLARRE

Matthias Weidling ist ein erfahrener Staatsanwalt. Doch die Gelassenheit, mit der er sonst plädiert, war gestern wie weggeblasen. In seinem Plädoyer im Ehrenmordprozess an Hatun Sürücü verwechselte er mehrfach Namen und versprach sich.

Bei einem aber war sich Weidling sicher: Egal wie der Prozess gegen die drei angeklagten Brüder Sürücü ausgehe, die Staatsanwaltschaft habe schon mit dem Verfahren eines bewirkt: dass die Unterdrückung junger Türkinnen in das öffentliche Bewusstsein gerückt sei. Solche Straftaten würden „in unserem Rechtsstaat nicht toleriert, auch wenn die Täter meinen, sie könnten ihre Familienangelegenheiten intern regeln“.

Die 23-jährige Hatun Sürücü war im Februar vergangenen Jahres im Berliner Bezirk Tempelhof auf offener Straße mit drei Schüssen niedergestreckt worden. Der Mordprozess gegen ihre drei Brüder vor dem Berliner Landgericht dauert bereits ein halbes Jahr. Für die Staatsanwaltschaft hat die Beweisaufnahme zweifelsfrei ergeben, dass mit den drei Männern die Richtigen auf der Anklagebank sitzen: „Alle drei haben ihre Schwester gemeinsam getötet.“ Der Älteste, der 26-jährige Mutlu, habe die Waffe besorgt, der 25-jährige Alpaslan in der Nähe des Tatorts gewartet, und der Jüngste, der 19-jährige Ayhan, habe geschossen.

„Es war eine eiskalte Hinrichtung“, sagte Weidling und forderte für die Angeklagten die Höchststrafe, die auf Mord steht. Lebenslänglich für Mutlu und Alpaslan. Ayhan, für den noch das Jugendstrafrecht gilt, soll neun Jahre und acht Monate hinter Gitter. Im Jugendstrafrecht sind zehn Jahre die Höchststrafe. Die Angeklagten hätten sich zum Vollstrecker eines selbst gefällten Todesurteils gemacht, indem sie sich über ihre Schwester Hatun erhoben, die ihr Kopftuch abgelegt hatte und zum Ärger ihrer Familie das Leben einer emanzipierten Frau lebte.

Die Familie Sürücü ist streng religiös. Von Mutlu und Ayhan ist bekannt, das sie Kontakt zu verbotenen islamistischen Gruppen hatten. Heimtückisch und hinterhältig sei Hatun aus der Wohnung gelockt worden, in der ihr fünfjähriger Junge schlief. Arglos habe sie Ayhan nach dessen Besuch bei ihr zur Bushaltestelle begleitet. Die Zigarette brannte noch zwischen ihren Finger, die Kaffeetasse in ihrer Hand war noch nicht leer, als die Schüsse fielen. Aus nächster Nähe mitten ins Gesicht gefeuert. Sogar als sie am Boden lag, schilderte Weidling, habe Ayhan ihr noch einmal in den Kopf geschossen.

Ayhan hatte am ersten Prozesstag ein Geständnis abgelegt und ausgesagt, die Tat allein begangen zu haben. Mutlu und Alpaslan haben jegliche Beteiligung bestritten. Der Staatsanwalt sieht die beiden Älteren jedoch durch die Aussage der 18-jährigen Hauptbelastungszeugin Melek A. überführt. Die junge Frau war zum Tatzeitpunkt mit Ayhan liiert. Der Schütze Ayhan, so Weidling, habe Melek A. „vertraut“ und ihr „detailgenau“ von Mordplan und Ausführung erzählt. Bei einem Gespräch zwischen Ayhan und Alpaslan sei Melek selbst zugegen gewesen. Sein Bruder Mutlu habe sie nach der Tat aufgefordert, Ayhan ein falsches Alibi zu geben.

Ayhan hingegen hatte in seinem Geständnis behauptet, Melek die Unwahrheit gesagt zu haben. Weidling wiederum ist überzeugt, dass das gelogen ist. Es gebe keinen Grund, warum sich die Zeugin, die an einem geheimen Ort untergebracht ist, um vor Racheaktionen sicher zu sein, die belasteten Details aus den Fingern gesogen haben soll.

Mutlu hielt sich während des Plädoyers zeitweise die Ohren zu. Alpaslan hielt Blickkontakt mit seiner Frau im Zuschauerraum. Und Ayhan kaute demonstrativ. Am Tag, nach dem Hatun starb, hat er laut einem Zeugen gesagt: „Ich habe noch nie so gut geschlafen, wie nach der Tat.“ So etwas wie Reue habe er in dem ganzen Prozess nicht verspürt, sagte Weidling. Die Angeklagten vermittelten vielmehr den Eindruck, dass „ein weltliches Gericht für sie keine ernst zu nehmende Instanz ist, vor der man sich verantworten muss“. Der Prozess geht am 7. April mit Plädoyers der Verteidigung weiter.