Guerrero schmeißt hin

WURF GEGEN FAN Nach einem schwachen 0 : 0 gegen Hannover 96 brennen bei Paolo Guerrero vom Hamburger SV am Sonntag die Sicherungen durch. Hannovers Spieler träumen derweil davon, ohne Sturm die Klasse zu halten

VON JAN KAHLCKE

Paolo Guerrero hatte die Nase voll. Sieben Monate hatte er sich geschunden, um nach doppeltem Kreuzbandriss wieder Fußball zu spielen. Dann wird er in der Halbzeit eingewechselt, erstes Heimspiel. Und die Fans? Pfeifen, weil sie Ruud van Nistelrooy weiter auf dem Platz sehen wollen. Zehn Minuten vor Schluss bringt Hannovers Sergio Pinto die Stollen zwischen Guerreros Fuß und den Ball und vereitelt die zweite gute Torchance der Hamburger in einem erschütternd schwachen Spiel.

Guerrero hätte zum umjubelten Matchwinner werden können. Und dann dieser Ausraster nach dem Abpfiff: Offensichtlich von unzufriedenen zahlenden Kunden bepöbelt, lässt er sich von Mitspieler Joris Mathijsen zeigen, wer das Wort geführt hat, und schleudert dem Mann aus kurzer Distanz eine Plastikflasche mit Wasser ins Gesicht. Der zuckt zurück – und pöbelt weiter. Guerrero und Mathijsen müssen weggeschoben werden.

Am Montag entschuldigte sich Guerrero „bei allen, denen ich geschadet habe“. HSV-Klubboss Bernd Hoffmann sagte: „Vereinsintern erhält er eine Geldstrafe, wie wir sie im Verein noch nie hatten.“ Weiter ist damit zu rechnen, dass sich der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem Fall beschäftigen wird.

Die Flaschen-Szene zeigt, dass vieles nicht stimmt beim HSV. Nach nur zwei Siegen aus den letzten elf Bundesligaspielen ist die Stimmung auf einem Tiefpunkt. Mittelfeldspieler Eljero Elia beschwerte sich, der HSV habe seine Knöcheloperation verzögert. Van Nistelrooy soll in der Kabine Youngster Tunay Torun gewürgt haben und reagiert stocksauer, wenn Bruno Labbadia es wagt, ihn auszuwechseln. Und der ist ohnehin angezählt, spätestens seit HSV-Boss Bernd Hoffmann vor einer Woche sagte, Labbadia werde sicher auch in der kommenden Saison HSV-Trainer sein – „Stand jetzt“. Auch zwischen Mannschaft und Publikum tun sich Gräben auf. Verteidiger Dennis Aogo, der mit einem Lattenknaller die andere Hamburger Torchance hatte, sagte nach dem Spiel, gegen defensive Gegner wie Hannover brauche man Geduld – und die Unterstützung der Fans. „Die hat uns heute gefehlt.“ Schon vor der Pause gab es Pfiffe, nach 75 Minuten schallte es durchs Stadion: „Wir woll’n euch kämpfen seh’n!“

Bei Guerreros Attacke war ein Großteil der Sitzplätze schon leer. Torwart Frank Rost brachte Verständnis für den Flaschenwurf auf. Die Spieler würden ständig beworfen und beleidigt. Da müsse man damit rechnen, „dass auch mal was zurück kommt“. Trainer Labbadia gab zu bedenken, Guerrero habe sich durch die Beleidigungen extrem in seinem Stolz verletzt gefühlt. „Die Südamerikaner sind sehr stolz, auch Afrikaner sind so.“

Vermutlich unfreiwillig erinnerte er damit an einen anderen Vorfall beim HSV: Der Kameruner Timothée Atouba war 2006 – ebenfalls von den teuren Plätzen aus – rassistisch verunglimpft worden und hatte mehrfach den Stinkefinger gezeigt. „Atoubas Reaktion konnte ich fast noch eher nachvollziehen“, sagte am Sonntag Ralf Bednarek, Chef der HSV-Fanabteilung „Supporters“. Er wies darauf hin, dass die Beleidigungen gegen Guerrero nicht von den viel kritisierten Ultras auf den Stehplätzen gekommen seien. „Das ist der Schnittchenbereich.“ Die HSV-Fans sind sich nicht grün, auch wenn Bednarek beschwichtigte, er wolle „keinen Klassenkampf“ anzetteln.

Das über Jahre mit bizarren Titelambitionen geschürte Anspruchsdenken hat die Atmosphäre beim HSV aufgeheizt. Bemerkenswert, dass ein Verein Auflösungserscheinungen zeigt, der auf dem sechsten Platz rangiert und am Donnerstag ins Halbfinale der Europa League einziehen könnte.

Echten Grund zur Sorge hat Hannover 96. Trainer Mirko Slomka hatte ein Trainingslager eingelegt, um im Abstiegskampf das Ruder noch herumzureißen. „Wenn der Erfolg so ist, machen wir auch jede Woche ein Trainingslager“, sagte Christian Schulz. Und Torwart Florian Fromlowitz meinte: „Mit dem Punkt können wir sehr gut leben.“ Dass Hannover offensiv nicht stattfand, dass der Abstand zum rettenden Ufer größer geworden ist, dass Jiri Stajner gegen Schalke nach zwei dummen Karten in acht Minuten fehlen wird und dass danach Bayern und Bayer warten – das hatten sie verdrängt.