Machen Sie sich mal frei!

Weil die Ärzte gestern streikten, mussten Arzthelferinnen in den Zwangsurlaub. Anderfalls drohen sogar Kündigungen, sagt ihr Berufsverband. Nächste Woche wollen die Ärzte wieder protestieren

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Rund 90 Prozent der Arzthelferinnen in der Region Nordrhein werden von ihren Chefs massiv unter Druck gesetzt. Das sagt die Landesvorsitzende Nordrhein des Berufsverbandes der Arzthelferinnen (BdA), Luisa Drehsen. Ihre Kolleginnen würden regelrecht „gezwungen“, Urlaub zu opfern, wenn ihre Chefs streiken, so Drehsen gestern zur taz. Zum gleichen Zeitpunkt demonstrierten in Berlin erneut tausende Ärzte für bessere Arbeitsbedingungen. Bundesweit blieben die meisten Arztpraxen geschlossen.

Der BdA weist auf seiner Homepage darauf hin, dass es zu Lasten des Arbeitgebers gehe, wenn dieser demonstrieren wolle. Arzthelferinnen, die sich dem Protest nicht anschließen wollten, müssten dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft für diese Zeit zur Verfügung stellen und etwa Verwaltungsaufgaben oder Aufräumarbeiten erledigen. „Sollte der Arbeitgeber die Arbeitskraft ablehnen, so darf er diese Tage nicht als Urlaub anrechnen“, schreibt der BdA, schränkt allerdings ein, dass in Einzelfällen eine „andere rechtliche Wertung“ gegeben sein könne.

Landesvorsitzende Drehsen verspricht sich jedoch wenig von rechtlichen Schritten. Rein juristisch könne das ja funktionieren, „aber zeigen sie mir die Kollegen, die in einem kleinen Betrieb in die Diskussion gehen“, sagt Drehsen. Teilweise sei sogar offen mit Kündigung gedroht worden, als sich ihre Kolleginnen weigerten, Urlaub für Proteste zu veranschlagen. Drehsen selbst demonstrierte gestern auch in Berlin. „Uns ist ja an der Praxiserhaltung gelegen“, sagte sie.

Von Seiten der Ärzte gibt man sich verwundert über derlei Verhältnisse. Bei der Ärztekammer Nordrhein heißt es, man habe noch nie von Problemen gehört. Gleiches gilt für die Kassenärztliche Vereinigung. Auch dort wunderte man sich auf taz-Anfrage. Klaus Reinhardt, der Landesvorsitzende des Hartmannbundes Westfalen-Lippe, hatte nach eigenen Angaben ebenfalls keine Ahnung von Schwierigkeiten.

Laut Medienberichten üben Ärzte auch in Westfalen-Lippe Druck aus. „Sollte wirklich jemand an Protesttagen Urlaub anordnen, verhält er sich absolut unkorrekt“, so Reinhardt. Treffe es zu, sei dieses Vorgehen „massiv“ zu kritisieren. Der Vorsitzenden des Hartmannbundes Nordrhein, Angelika Haus, waren die Vorwürfe ebenfalls neu. Sie wisse nicht, wie der BdA die Zahl belegen wolle. Zur Sache selbst sagte Haus, sie könne es durchaus verstehen, wenn Kollegen auf einem Urlaubstag bestünden. Auch die Ärzte würden sich für den Streik frei nehmen. „Aber Druck finde ich natürlich nicht gut“, so Haus, die in Berlin mit rund 15.000 Kollegen gegen den Sparkurs im Gesundheitswesen demonstrierte.

Zwar will sich der Hartmannbund nächste Woche laut Reinhardt von weiteren Streiks distanzieren. Gedroht wurde in Berlin aber dennoch: So wollen die Verbände prüfen, wie die Fußball-WM und die Anwesenheit der Weltpresse genutzt werden könne, um auf die Anliegen der Mediziner aufmerksam zu machen. Aber noch ist der jetzige Streik nicht vorbei: Nächste Woche wollen etliche Praxen in NRW so genannte „Bürokratietage“ einlegen und Akten ordnen. Sie bleiben also weiter geschlossen. Kranke müssen zum Notdienst.