„Das alles ist auch Videokunst“

Wulf Herzogenrath verrät, wieso die Wiege der Videokunst ausgerechnet in Wuppertal stand. Und welchen Eindruck die Ausstellung 40jahrevideokunst.de vermitteln soll

Der Titel, 40 Jahre Videokunst – das heißt auch: Es gibt eine Geburtsstunde…

Die Geburtsstunde lässt sich wirklich sehr genau benennen. Das Datum ist März 1963: in der Wuppertaler Galerie Parnass manipuliert Nam June Paik Fernsehgeräte – und fordert die aktive Teilnahme der Galerie-Besuchers heraus. Der Betrachter konnte nun, wie Paik gesagt hat, zurückschlagen.

Wie das?

Indem er per Fußschalter das Bild gleichsam neu malen konnte: Deshalb auch Participation-TV. Später kamen dann noch beispielsweise ein Magnet oder ein Mikrofon hinzu, mit denen die elektronische Projektion beeinflusst werden konnte.

In der aktuellen Videokunst spielt diese Interaktion kaum noch eine Rolle. Oder täuscht der Eindruck?

Ja und Nein. Als Utopie ist die Vision von der Mitbestimmung noch da. Wichtig ist sie natürlich in der Entwicklung von Videospielen, im Internet gibt es auch immer wieder spannende Versuche die Beteiligung des Users einzubeziehen. Und es gibt ja auch im Fernsehen mitunter die Möglichkeit, zu wählen, ob die Geschichte mit Variante a, b oder c fortgesetzt wird: Nur ist das eben ein von einer bestimmten Seite her vorgefasster Weg.

In den 60er Jahren sind die Pole der Kunstwelt noch Paris und zunehmend: New York. Dass die Videokunst ausgerechnet in Deutschland zur Welt kommt, wirkt erst einmal überraschend. Und dann auch noch in Wuppertal…!

Wuppertal natürlich, weil dort das Ehepaar Jährling sein Privathaus immer wieder den Akteuren der rheinischen Kunstszene zur Verfügung gestellt hat. Und es ist natürlich das ganze Rheinland mit Köln und Düsseldorf, wo Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre in einigen wenigen Ateliers die Videokunst entsteht: Paik, Wolf Vostell in Köln, Joseph Beuys in Düsseldorf. Das liegt auch daran, dass die Avantgarde-Musik dort sehr früh schon die Grenzen zur Elektronik geöffnet hatte, sowohl mit Karlheinz Stockhausen, aber auch mit der Gruppe „Can“ oder etwas später „Kraftwerk“ im Bereich der Pop-Musik, und natürlich dem sehr einflussreichen John Cage. Was Paik und Vostell unternommen haben ist eine Übertragung vom akustisch-musikalischen auf den visuellen Bereich.

Wie lange hat es denn gedauert, bis das Kind offiziell anerkannt wurde?

Das hat ziemlich lange gedauert, besonders bei den deutschen Kunsthistorikern und Museumsleuten. Wir können auch die Frustration verstehen, aus der heraus Paik 1964 nach New York gegangen ist. Weil er den Eindruck hatte, dass der deutsche Kunstfreund und Museumsmensch Angst hat vor technologischer Kunst – während solche Neuerungen in den USA mit Neugier und Euphorie aufgenommen wurden. Nicht umsonst kommen die wichtigen Akzente dann bis in die späten 1960er Jahre aus Amerika von Künstlern wie Peter Campus oder Bill Viola. Erst danach kommen dann hier wieder Neuerer wie Gerry Schum oder Ulrike Rosenbach zum Zuge.

Ist die Ausstellung Beginn einer Kanonisierung?

Als jemand, der nun 30 Jahre im Ausstellungs- und Museumsbetrieb gearbeitet hat, scheue ich mich nicht mehr, das zu sagen. Denn alles, was wir tun ist eine Art Auswahl. Ich sage ja zu x – und nein zu y. Deshalb war es so wichtig, dass eine Jury, die wirklich höchst unterschiedlich zusammen gesetzt war – alt und jung, Mann und Frau, Ost und West – sich zusammengerauft hat. Wir haben wirklich viel gesehen, und viel diskutiert, das ging über Wochen und Monate. Und am Ende standen diese 59 Tapes als gemeinsam erarbeiteter – nennen Sie’s ruhig Kanon. Deshalb sind wir der Bundeskulturstiftung auch dankbar, die diese Recherche ermöglicht hat. Wir haben rund 500 Bänder gesichtet für diese Auswahl. Dass wir die auch wirklich zur Verfügung hatten, wäre ohne diese Unterstützung nicht denkbar gewesen.

Sie zeigen auch ein Fernsehgerät der frühen 1960er Jahre…

… das einzige, das von Nam June Paiks erster Videoperformance 1963 erhalten geblieben ist, ja.

Ein sehr fremdes Gerät für heutige Augen: Wirken sich solche Veränderung der Bildschirme und des Fernsehprogramms auf Videokunst aus?

Bei der Hardware kann man das ziemlich genau benennen: Bis zum Ende der 1960er Jahre gibt es diese abgerundeten Ecken vom Fernsehbild, sowohl bei Wolf Vostell als auch bei Paik. Außerdem taucht bei beiden der Fernsehsprecher Karl-Heinz Köpcke auf. Den werden viele noch kennen: Der war eine Ikone, wie es heute kein Fernsehsprecher mehr sein kann – allein schon, weil wir eine Vielzahl von Programmen und Sprechern haben. Allerdings darf man die materiellen Veränderungen auch nicht überbewerten. So sind ja auch die frühen Video-Arbeiten meist auf Film gemacht worden – weil Videomaterial noch so teuer war. Für unsere Auswahl war daher entscheidend: Was ist fürs Fernsehen gemacht, hebt sich aber ab von der damaligen Vorstellung, was „fernsehgerecht“ ist. Also das, was von den Künstlern für den Fernseher und als Kritik am Fernsehen oder mit dem Fernsehgerät gemacht war. Das alles ist auch Videokunst. Dass sich das mit neuen Möglichkeiten, ein Bild zu projizieren, verändert hat, ist auch Teil dieser Ausstellung. Wir haben bewusst Dokumentarisches bis hin zu Satellitensendungen, beispielsweise von Paik „Good Morning Mr. Orwell“, wir haben elektronisch harte Dinge, wir haben Andeutungen vom Video-Clip – die gesamte Breite der neuen Erzählstrukturen. Manches davon ist sogar als „Fernsehspiel“ im ZDF gelaufen.

Videokunst ist eine der wenigen wirklich neuen Kunstformen, die in der Geschichte der Kunst zu Malerei und Grafik auf der einen und Plastik auf der anderen Seite dazugekommen ist. Mit welcher ist sie näher verwandt?

Das lässt sich so nicht sagen. Natürlich ist da meist das Fernsehgerät oder der Bildschirm, das hat immer etwas Skulpturales. Aber denken Sie an Bill Violas Arbeiten: Das ist vielleicht mehr Malerei als vieles, das mit Pinsel und Farbe auf die Leinwand gebracht worden ist. Manches ist auch näher am Film, interessiert sich für Erzählstrukturen, anderes geht in Richtung Performance. Wir haben Dokumentarisches und geradezu Intimes. Das Wichtigste ist vielleicht, dass elektronische Kunst dem Künstler die Möglichkeiten gibt, sich und sein Tun in einer Welt der Medien zu reflektieren – also eine zeitgemäße Vision seines Schaffens zu entwickeln. Deshalb ist das Ziel der Ausstellung auch nicht, dass einer rausgeht mit der festen Vorstellung: Das ist Videokunst. Sondern eher mit dem Eindruck: Donnerwetter! Das alles ist auch Videokunst!

FRAGEN: BENNO SCHIRRMEISTER

Ausstellung: Bis 21. Mai 2006