Unklare Maßstäbe

INKLUSION Die Zahl von Kindern mit Förderbedarf ist gestiegen. Gutachten warnt vor Schnellschüssen

Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat erste Ergebnisse einer Studie über die Ursachen und Konsequenzen des „dramatischen Anstiegs“ sogenannter LSE-Kinder vorgelegt. Dahinter verbergen sich SchülerInnen „mit sonderpädagogischen Förderbedarfen in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung“. Diese Gruppe macht mit etwa 70 Prozent den größten Teil der sogenannten Inklusionskinder aus, die früher in Sonderschulen unterrichtet wurden und denen heute der Weg in die Grund- und Stadtteilschulen und theoretisch auch die Gymnasien offensteht.

Frappierend: Während seit 2010 die allgemeinen Schulen im Rahmen der Inklusion einen Zugang von 3.822 LSE-Kindern verzeichneten, nahm die Zahl dieser Kinder an Sonderschulen nur um 1.348 ab. „Etwa ein Drittel der von den Schulen gemeldeten LSE-Kinder wäre früher zur Sonderschule geschickt worden“, schlussfolgert Senator Rabe und ergänzt: „Nicht die Kinder, sondern der Blick auf sie hat sich verändert.“

Laut des Zwischen-Gutachtens der Hamburger Erziehungswissenschaftler Karl Dieter Schuck und Wulf Rauer liegt der zentrale Grund für den rasanten Anstieg der LSE-Kinder in unklaren Diagnosemaßstäben. Sie sollen laut Rabe in Zukunft vereinheitlicht werden. Zudem wurden, so vermuten die Wissenschaftler, Lern- und Entwicklungsprobleme früher eher kleingeredet, um eine Abschulung der Betroffenen auf die Sonderschule zu vermeiden.

Die intensive Diskussion um die Inklusion aber habe, so Rabe, „Lehrkräfte sensibilisiert“ und „die Bereitschaft zur Benennung von Kindern mit besonderen Förderbedarfen erhöht“. Nicht immer zu Recht: Bei einer Stichprobe an zwölf Schulen entdeckte die Innenrevison der Behörde 130 SchülerInnen, die fälschlicherweise als LSE-Kinder einklassifiziert worden waren.

Anfang des Jahres 2014 soll das Gutachten abgeschlossen werden, erst dann will Rabe bei der Inklusion nachjustieren. Denn die Gutachter sehen die Inklusion „bei allen Anlaufschwierigkeiten auf einem guten Weg“ und raten „dringend davon ab“, aus der Zunahme der LSE-Diagnosen „vorschnelle Entscheidungen zu entwickeln“.

Doch angesichts des explodierten Förderbedarfs stellt Rabe heute schon mal ganz vorsorglich die Frage, „ob wir uns das auf Dauer leisten können“.  MAC