Kino für die Ohren

NEUE MUSIK Das Bremer Lautsprecherorchester besteht aus über 200 alten Lautsprecherboxen aller Art. Auf dem REM-Festival in Bremen kommt es unter der Regie weit angereister Künstler erstmals zum Einsatz

Die Bremer Entsorgung Kommunal half, die Lautsprecher zu beschaffen

Noch stehen sie zumindest zum Teil in einem Studio in Bremen, die „Mitglieder“ des Bremer Lautsprecherorchesters (BLO), das in seiner Gesamtheit beinahe wagnerianische Ausmaße hat: „Insgesamt werden es wohl über 200 sein“, schätzt Gerd Anders von der Programmgruppe Neue Musik (PGNM), einer der Initiatoren des Projekts.

Allerdings: Dieses Orchester erinnert ansonsten kaum an Bayreuth. Nicht nur, dass es aus Lautsprecherboxen aller Art besteht. Es handelt sich auch noch um ausrangierte Modelle, die schon auf dem Weg zur Müllhalde waren. Auf dem REM-Festival, das von Freitag bis Sonntag in Bremen statt findet, kommt das BLO erstmals zum Einsatz.

Vorbild des BLO ist das Acousmonium, das der französische Komponist Francois Bayle in den frühen 1970er-Jahren entwickelte. Beim Acousmonium ermöglichen über 80 Lautsprecher mit unterschiedlichen Klangcharakteristika eine Rundum-Wiedergabe. Durch die Vielzahl der Lautsprecher ergibt sich eine Räumlichkeit, die eine noch so große Stereo-Anlage nicht erzeugen kann.

Christoph Ogiermann, ebenfalls Mitglied der PGNM und künstlerischer Leiter der Reihe REM für elektronische Musik, wurde in Paris Zeuge eines Acousmonium-Konzerts und war fasziniert. „Das ist Kino für die Ohren“, sagt er. Seither hegt er den Wunsch, so ein Lautsprecherorchester selbst zu bauen.

Wo das originale Acousmonium allerdings aus hochwertigen High-End-Boxen besteht und von Radio France, also dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziert wurde, ist seine Bremer Version eher die Punk-Variante: Weil im privaten Umfeld keine so große Menge Lautsprecher aufzutreiben war, half die Bremer Entsorgung Kommunal und sammelte und prüfte jedes einzelne Exemplar auf seine Funktionsfähigkeit.

Für das Festival werden sie von einem Mischpult mit 64 Kanälen angesteuert, an den Reglern ist der Komponist oder die Komponistin. Wobei Anders und Ogiermann der Idee des „Ohrenkinos“ entsprechend eher von Regie sprechen als von Dirigat.

Grundsätzlich, so Anders, ließe sich jede beliebige Musik über diese Anordnung abspielen. „Das ist ein bisschen wie im Hi-Fi-Laden, wo man sich die gleiche Musik über verschiedene Lautsprecher anhören kann.“ Allerdings eignen sich elektronische Musik, abstrakte Rhythmen und Flächen dann doch eher, um die Möglichkeiten dieses Instruments auszuloten: Eine schier unendliche Kombinationsvielfalt, von näselnden Billigboxen bis hin zu kristallklar dröhnenden Bässen und allem, was sich dazwischen denken lässt, erlaubt den MusikerInnen einen Nuancenreichtum von orchestralen Ausmaßen. Und eben räumliche Effekte, die ein Orchester kaum liefern kann: „Die Lautsprecher werden zum Teil auch unter den Sitzreihen positioniert werden“, sagt Anders.

Zur Premiere des BLO kommen internationale Künstler, darunter Denis Dufour aus Frankreich, Hanna Hartman aus Schweden und C. Spencer Yeh aus den USA. Sie werden Kompositionen präsentieren, die sie für das BLO geschrieben haben.

Damit das BLO nach der Premiere nicht aus Platzgründen wieder auseinanderfällt, hat die EKO zugesagt, das Orchester nach dem Festivalwochenende einzulagern. Es wäre ja auch wirklich zu schade drum – und nachhaltig schon gar nicht. ANDREAS SCHNELL

REM-Festival: 30. August bis 1. September, Spedition am Güterbahnhof und Kulturkirche St. Stephani Bremen