In aller Feindschaft

Mit der bisher größten Protestaktion haben gestern rund 30.000 Ärzte aus ganz Deutschland gegen die Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen demonstriert. Proteste sind auch zur WM geplant

VON CIGDEM AKYOL

Etwa 3.000 Arztpraxen in Berlin blieben gestern geschlossen. Denn statt in der Praxis zu stehen, demonstrierten 30.000 Mediziner in weißen Kitteln, in einem grünem OP-Gewand oder mit einer Rettungsweste gegen die deutsche Gesundheitspolitik.

Die Teilnehmer zogen beim zweiten nationalen Protesttag vom Roten Rathaus zum Brandenburger Tor. „All die Funktionäre in Politik und Krankenkassen ignorieren in unglaublicher Arroganz, dass wir Ärzte es sind, die erst durch millionenfach unbezahlte Mehrarbeit den Betrieb am Laufen halten“, kritisierte Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, bei der Abschlusskundgebung.

Mobilisiert von 50 Ärzteverbänden und zehn Patientenverbänden forderten die Demonstranten auf dem „nationalen Protesttag“ das Ende der Sparpolitik im Gesundheitswesen. „Wir wollen nicht länger hoch qualifizierte Leistungen zu Dumpingpreisen erbringen müssen“, sagte Hoppe.

Viele Teilnehmer trugen Transparente mit Aufschriften wie „Gesundheit erhalten statt Mangel verwalten“, „Vögel haben Grippe, Schweine haben Pest, Ärzte haben Ulla Schmidt“ oder „Tatü tata! Kein Arzt mehr da“.

Die Mediziner kämpfen insbesondere gegen die von Union und SPD beschlossene Bonus-Malus-Regelung. Danach soll mit Honorarabzug „bestraft“ werden, wer überdurchschnittlich teure Arzneimittel verordnet. Ärzte, die preiswerte Präparate verschreiben, sollen dafür finanziell belohnt werden. Dies soll nach den Vorstellungen der Politiker das Kostenbewusstsein der Ärzte schärfen. Die Mediziner allerdings sehen darin einen Eingriff in die Therapiefreiheit. In der „Berlin-Essener Resolution der deutschen Ärzteschaft“ wird gefordert, auch den Klinikärzten konkurrenzfähige Gehälter und Überstunden zu zahlen.

„Die Gesundheitspolitik erinnert mich an die Muppet-Show,“ sagte Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft. Er kündigte auch an, die Proteste während der Fußball-WM auszubreiten, um die „Anwesenheit der Weltpresse zu nutzen“. Der Weltöffentlichkeit werde man zeigen, dass hierzulande Grundrechte mit Füßen getreten würden.

Die Ärzteverbände drohten als letzte Stufe einer Eskalation sogar damit, kollektiv aus den Kassenärztlichen Vereinigungen auszutreten. „Das wäre das Ende der flächendeckenden Versorgung“, warnte Werner Baumgärtner, Vorsitzender der Ärztevereinigung Medi. Dann müssten Patienten darauf achten, ob der Arzt ihrer Wahl bei ihrer Krankenkasse unter Vertrag steht. Bislang kann jeder Patient unabhängig von seiner Kassenzugehörigkeit zu jedem Arzt seiner Wahl gehen.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wies die Forderung der Ärzte nach bis zu 30 Prozent höheren Honoraren zurück. Die 7 Milliarden Euro Mehrkosten wären unbezahlbar, sagte die Ministerin in Dresden. Sie bot den Ärzten aber Gespräche an. „Die bestehenden Probleme“ könne man nur lösen, wenn man „sich gemeinsam an einen Tisch“ setze, sagte Schmidt.

Gespräche sind auch dringend nötig. Denn der Protest am Freitag markierte den Auftakt zu einer nationalen Streikwoche, in der es vom Montag an bundesweit zu Praxisschließungen kommen soll.