Angela Merkel bremst EU-Kommission

Beim Gipfel der 25 Regierungschefs in Brüssel lehnt die Kanzlerin einen europäischen Regulator für Stromnetze ab. Auch ansonsten beharren die Mitgliedstaaten in Energie- und Beschäftigungspolitik auf ihren nationalen Kompetenzen

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die Zusagen der Politiker auf dem EU-Frühjahrsgipfel waren so wolkig wie der Himmel über Brüssel. Es geht schließlich um Wachstum, soziale Sicherheit und Beschäftigung – da lehrt die Erfahrung größte Zurückhal-tung. Das Millenniums-Versprechen auf dem Gipfel von Lissabon, Europa werde bis 2010 der stärkste Wirtschaftsraum der Welt, hat sich inzwischen als größenwahnsinnige Übertreibung herausgestellt und das Image der EU weiter ramponiert. Zur Verfassung und zur Erweiterung hatte gestern auch niemand eine zündende Idee. Ende April soll es dazu in Österreich ein Sondertreffen geben.

Inzwischen scheinen sich alle Regierungschefs auf Angela Merkels Politik der kleinen Schritte verständigt zu haben. Zwei Millionen neue Arbeitsplätze sollen bis 2010 jährlich in der EU geschaffen werden. 85 Prozent der Jugendlichen sollen einen allgemeinbildenden höheren Abschluss erreichen. Jeder Schulabgänger soll innerhalb von sechs Monaten (ab 2007 in vier Monaten) eine Lehrstelle, eine Fortbildungsmaßnahme oder einen Job angeboten bekommen. Die neuen Lissabon-Ziele sind zwar deutlich bescheidener, aber keineswegs verbindlicher als zuvor. Wer sie verfehlt, muss keine Konsequenzen fürchten.

Auch bei der Energiepolitik, dem Schwerpunktthema dieses Treffens, sind alle überaus zufrieden, ohne in der Sache vorangekommen zu sein. Merkels energiepolitische Einführungsrede beim Abendessen soll bei allen Teilnehmern auf Zustimmung gestoßen sein. Eine derartige Harmonie habe er bei einem Gipfel noch nicht erlebt, erklärte anschließend Gastgeber Wolfgang Schüssel. Teilnehmer berichteten, die Aussagen der deutschen Kanzlerin seien viel zu allgemein gewesen, um Anlass für Diskussionen zu liefern.

Merkel sprach sich dafür aus, die Strom- und Gasmärkte in der EU weiter zu öffnen. Durchlässige Netze sorgten für niedrigere Preise. Vorrang müsse dem Energiesparen und den Erneuerbaren Energien eingeräumt werden. Allerdings müssten sich die Mitgliedstaaten auf einheitliche Ziele verständigen, um nicht ökologisch engagierte Länder gegenüber denjenigen zu benachteiligen, die billigere aber umweltschädigende Energiequellen nutzen. Merkel wandte sich dagegen, die Energiepolitik von Brüssel aus zu lenken. Auch den Vorschlag der EU-Kommission, einen europäischen Regulator für die Stromnetze einzusetzen, lehnte sie ab. Es müsse auch jedem einzelnen Land überlassen bleiben, für welchen Energiemix es sich entscheide.

Auch Ratspräsident Schüssel betonte, jedes Land müsse selbst entscheiden, ob es auf saubere Kohle, Öl- und Gasimporte oder Atomkraft setzen wolle. Die Erneuerbaren Energien sollten bis 2015 einen Anteil von 15 Prozent des Energiebedarfs in der EU decken. Innerhalb der kommenden 15 Jahre solle der Energieverbrauch um 20 Prozent gesenkt werden.

Die Umweltorganisation WWF begrüßte diese Selbstverpflichtungen der Gipfelteilnehmer. Wesentlich sei es aber, ungerechtfertigte Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen, die sich allein in den alten EU-Staaten auf 24 Milliarden Euro pro Jahr summierten. Die geplante Liberalisierung des Energiemarkts werde die Marktchancen für Erneuerbare verbessern. Ohne einen Regulator, der den europäischen Markt kontrolliert, würden allerdings die Energieriesen das Geschäft weiterhin unter sich aufteilen. Was sagt Wolfgang Schüssel zu so ungeduldigen Forderungen? „Europa wird nicht an einem Tag gebaut, sondern durch die Tat.“ Das sei ein Wortspiel, fügte er bedauernd hinzu, das leider nur auf Deutsch funktioniere.