Warten aufs Rückspiel

Lemgo siegt im Europapokal-Hinspiel beim VfL Gummersbach sieht sich aber dennoch nicht im Vorteil

„Es gibt keinen Grund zur Euphorie“, sagte Lemgo-Trainer Volker Mudrow

GUMMERSBACH taz ■ Zu aufgeregt war der ansonsten so kaltblütige Nordländer. „Jetzt bitte kein Interview, ich rede sonst nur Blödsinn“, sagte Gudjon Valur Sigurdsson direkt im Anschluss an die bittere 27:29 (16:13)-Niederlage des VfL Gummersbach gegen den TBV Lemgo. Noch immer haderte er mit seiner Zeitstrafe eine Minute vor Spielende und mit seinem letzten Wurf, den Lemgos überragender Keeper Carsten Lichtlein entschärft hatte.

Der Großteil der 1.800 Zuschauern in der Eugen-Haas-Halle war enttäuscht. Gudjonsson wusste um die Hypothek für das Rückspiel des EHF-Halbfinals, am kommenden Sonntag in Lemgo. Das vorgezogene Endspiel in dem europäischen Wettbewerb scheint vorentschieden. Erst nach ein paar Minuten war der isländische Weltklasse-Linksaußen wieder auf Normaltemperatur. „Wir haben eigentlich ganz gut gespielt“, sagte Gudjonsson, „aber es hat einfach nicht gereicht“.

Auf der anderen Seite versuchten sich die Lemgoer in vornehmer Zurückhaltung. „Es gibt keinen Grund zur Euphorie“, sagte Trainer Volker Mudrow, eine Vorentscheidung sei beileibe nicht gefallen. Rechtsaußen Florian Kehrmann erwartet „noch einmal 60 Minuten großen Kampf“. Und Kapitän Markus Baur bemühte das Beispiel der deutsch-deutschen Duelle im Viertelfinale der Champions League zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg, das zwei Auswärtssiege gesehen hatte. Gummersbach Coach Velko Kljaic wähnte sich gar im psychologischen Vorteil: „Alle erwarten jetzt einen Sieg der Lemgoer, wir haben nichts mehr zu verlieren.“

Nach den 60 Minuten des Hinspiels deutet aber doch alles auf einen Finaleinzug Lemgos. Glich diese Partie in ihrem Verlauf doch sehr dem letzten Bundesliga-Duell, in dem Lemgo zu Hause nach langem Rückstand mit 28:26 siegreich gewesen war. Angeführt von den überragenden Individualisten im Rückraum, dem französischen Europameister Daniel Narcisse und dem südkoreanischen Linkshänder Kyung-Shin Yoon, dominierte Gummersbach das Spiel über weite Strecken, nach dem 24:22 in der 50. Minute lief alles auf einen Heimsieg zu. Die aggressive 5:1-Abwehr des deutschen Rekordmeister tat im ersten Abschnitt ihr übriges und ließ kaum Treffer aus dem Lemgoer Positionsspiel zu.

Lemgo hielt nur deshalb das Spiel offen, weil es über die gesamten 60 Minuten hinweg die zuletzt schärfste Waffe der Gummersbacher, die atemberaubenden Tempogegenstöße Sigurdssons, unterbinden konnte. „Bei Ballverlusten war immer ein Mann direkt bei Sigurdsson“, lobte Baur das Abwehrverhalten seiner Mannschaft. Das Ergebnis: Gummersbach kam nur zu zwei Treffern bei schnellen Gegenstößen. Zu den Parallelen zählte auch, dass den Gummersbachern in der entscheidenden Phase unverständliche technische Fehler unterliefen – ein noch größerer Faktor aber war auch diesmal fehlende Treffsicherheit. Immer wieder scheiterten die Blau-Weißen am formstarken Torwart Carsten Lichtlein. „Lütti hat da super gehalten, das war der Grundstein“, freute sich TBV-Kreisläufer Christian Schwarzer über den deutschen Nationalkeeper.

Zudem unterlief auch VfL-Trainer Kljaic am Ende ein womöglich folgenschwerer taktischer Schnitzer. Als noch 20 Sekunden zu spielen waren, nahm er, da sein Team in Unterzahl agierte, Torwart Ege aus dem Kasten und schickte Kreisläufer Fog aufs Feld. Lemgos erfahrenere Abwehrstratege Volker Zerbe bedankte sich herzlich dafür und warf den Ball, den ihm Narcisse und Yoon überlassen hatten, drei Sekunden vor Spielende aus der eigenen Hälfte ins leere Gehäuse – ein teurer Treffer, an den man sicher erinnern wird am nächsten Sonntag, wenn das Duell in die zweite Runde geht.

ERIK EGGERS