Ein Gürtel der Armut

Bildungsrisiko Armut: In Billstedt, Bahrenfeld und Wilhelmsburg leben laut Schulforscher Ulrich Vieluf die meisten Risikoschüler. Einziger Lichtblick: Die verlässliche Halbtagsschule

von Kaija Kutter

Sie heißen Pisa, Lau, Ulme und Kess – kein anderes Bundesland hat die Leistungen seiner Schüler mit so vielen Studien untersuchen lassen wie Hamburg. Da lag es nahe, dass die „Enquete-Kommission Schulentwicklung“, die für die Bürgerschaft über neue Schulstrukturen beraten soll, bei ihrer ersten Sitzung am Samstag einen Vortrag über empirische Daten hörte, gehalten von Ulrich Vieluf vom Landesinstitut für Lehrerbildung (LI).

Hamburg, das ist die schlechte Nachricht des jüngsten PISA- Ländervergleichs, hat mit 30 Prozent „Risikoschülern“ eine sehr große Gruppe, die kaum in der Lage ist, eine Ausbildung zu beginnen. Vieluf hat nun anhand der Postleitzahlen, die mit den Daten der Lernausgangsuntersuchung für die neunten Klassen (LAU 9) erhoben wurden, ausgewertet, wie sich die Risikoschüler auf die Stadt verteilen. Auf der Grafik zieht sich ein rosa markierter Armutsgürtel von Jenfeld im Osten über St. Pauli bis nach Finkenwerder quer durch die Stadt. Betroffen sind vor allem Billstedt, Wilhelmsburg-Ost und -West und Bahrenfeld. In diesen vier Stadtteilen haben zwei von drei Familien nicht mal 100 Bücher im Schrank.

Für Vieluf ist offenkundig, dass das schlechte Abschneiden bei den Bildungsstudien ein „Armutsphänomen“ ist. So hinkten die Sonderschüler bei einer Extra-Studie gegenüber den Hauptschülern nochmals um zwei Lernjahre hinterher. Diese Schüler sahen deutlich mehr fern. Auch ergab die Grundschulstudie „Kess 4“, dass Schüler, die nachmittags allein zu Hause sind, um ein Lernjahr hinterherhinken.

Ernüchternd waren auch Vielufs Auszüge aus der bislang wenig beachteten Studie „Ulme 1“, die die Leistungen der Berufsschüler mit den zwei Jahre zuvor erbrachten verglich. Darunter waren Hauptschüler, die ihr zehnten Schuljahr auf einer Gesamtschule, einer Integrierten Haupt- und Realschule (IHR) oder auf einer Berufsfachschule verbrachten. In Mathe hat sich die Leistung dieser Schüler sogar verschlechtert, lediglich die Gesamtschüler konnten ihr Niveau halten. Von den rund 2.800 Hauptschülern an „teilqualifizierenden Berufsfachschulen“ erreichten 19 Prozent nicht mal den Stand der fünften Klassen.

Doch auch die Gesamtschulen produzierten Verlierer. Vieluf: „Sobald sie merken, dass sich ihre Bildungsaspiration nicht erfüllt und sie merken, was ihnen mit Hauptabschluss blüht, legen sie den Stift aus der Hand.“

Der Bildungsforscher lieferte der Kommission aber auch relativierende Daten. So gilt das PISA-Länderranking vom Herbst als verzerrt, weil aus Hamburg beispielsweise 160 Großstadtschulen dabei waren, während von den 70 bayerischen Schulen nur zwei Münchner dabei waren. Vergleicht man etwa nur die Jugendlichen, deren Eltern aus der Türkei stammen, landet Hamburg in Mathe auf Rang zwei und Bayern auf Platz neun.

Unbedingt beachten sollte die Enquete-Kommission aber auch die für Mai erwartete Studie Kess 7. Bei der Vorgängerstudie Kess 4 hatte sich 2003 herausgestellt, dass Hamburgs Viertklässler von der inzwischen eingeführten Verlässlichen Halbtagschule profitieren und in Mathe Spitze sind. Sollte sich dieser Vorsprung bis Klasse sieben halten, hätte die bessere Zukunft jetzt schon begonnen.