Das neue Produkt: Jazz

Bei der bundesweit ersten Jazzmesse in Bremen entwickelt die Szene neues Selbstbewusstsein im Gewand der Privatwirtschaft

von Klaus Irler

Nichts ist klar, und das macht die Sache so interessant. Liegt es am Publikum, dass der Jazz in Deutschland zunehmend zum Mauerblümchen wird? Oder an der Lustfeindlichkeit puristischer Musiker, die meinen, Notenständer und Hornbrille sind genug der Inszenierung? Oder liegt es gar an der Marktwirtschaft, die die Musiker so sehr zu Brotjobs zwingt, dass am Ende keine Zeit mehr für die Kunst ist? Die Harald Schmidt-Show zum Beispiel: Einige der besten Kölner Jazzer hat sie absorbiert – die spielen jetzt für gutes Geld im Fernsehen, für künstlerische Projekte aber sind sie verloren. Der Grund liegt nahe: „Im normalen Spielbetrieb ist kein Geld unterwegs. Das Publikum kann‘s nicht generieren und es gibt keine direkten Subventionen“, sagt Reiner Michalke, Leiter des renommierten Moers-Festivals.

Mehr öffentliches Geld, mehr Kunst – mag sein, aber was sich die Musiker auf der Messe „Jazzahead“ in Bremen zu sagen hatten, geht über die alte Subventionsklage weit hinaus. Dafür sorgt schon der Rahmen: Es ist das erste Mal, dass sich die Szene auf einer Messe trifft, also offensiv übersetzt in die Welt der Privatwirtschaft und der Profitinteressen. Mit einer Rolltreppe fährt man im Congress Centrum Bremen nach oben und lässt sich den Weg zeigen von freundlichen Angestellten im Service-Outfit. Es gibt Bistrotische, deren Aschenbecher geleert werden und einen dicken Teppichboden, der eine angenehm gedämpfte Gesprächs-Atmosphäre zwischen den rund 80 Ständen herstellt. Denn darum geht es auf der Jazzmesse: Um das Kontakte-Knüpfen, Karten-Austauschen und Projekte-Planen. Wie bei jeder anderen Messe auch.

Zudem aber geht es um Live-Musik: Es gibt Abendkonzerte mit Stars wie John Scofield oder Maria Joăo und es gibt das „German Jazz Meeting“ als ein „Modul“ der Messe: Dabei präsentieren sich 14 deutsche Formationen in je zwanzig Minuten. Zum Zug kommen dabei interessante KünstlerInnen wie Nils Wogram oder Lisa Bassenge, die bereits eine gewisse Bekanntheit haben, möglicherweise aber noch richtig Karriere machen. Die Band-Auswahl hat als künstlerischer Leiter der Trompeten-Professor Ulrich Beckerhoff getroffen.

In ihrer ersten Ausgabe, so scheint es, ist die Jazzmesse eine Veranstaltung, auf der sich vor allem die etablierteren Kreise treffen. Einen Preis hat man auch in‘s Leben gerufen, und den bekommt mit dem Produzenten Manfred Eicher einer der großen alten Herren der Szene: Eicher hat Musiker wie Keith Jarrett und Arvo Pärt produziert und sagt beim „Star Talk“ auf dem Podium Sätze wie: „Wir sind Music Travellers. Es befriedigt mich nur, wenn bei den Aufnahmen etwas anderes passiert als im Konzert.“ Es passt ganz gut zu Eichers Mobilitäts-Credo, dass der Preis von einer Autofirma gesponsert wurde.

„Star Talk“, Visitenkarten-Zirkus – für manche MusikerIn, die (noch) nicht so weit ist, klingt das wohl eher bedrohlich. „Ich glaube, manche sind aus Überzeugung nicht hergekommen“, sagt Meike Goosmann aus Berlin. Für sie ist die Messe ein erster Schritt, ihr Bandprojekt auf professionellere Beine zu stellen: Demnächst soll eine CD erscheinen, nun hat sie Vorab-CDs der Aufnahmen dabei, um Veranstalter, Agenten und Journalisten zu versorgen. „Ich finde die Idee der Messe sehr gut. Das mit der Selbstvermarktung finde ich trotzdem schwierig: zu den Leuten hinzugehen und sich ins Gespräch zu bringen ist mir nicht so angenehm.“ Aber: „Du hast es hier wesentlich einfacher zu kommunizieren, als am Telefon.“

Zumal die Jazzmesse auf dem Boden geblieben ist: Neben Ständen der Plattenfirmen, Studios und der Fachpresse sind auch die Verbände, Initiativen und Hochschulen vertreten und alle, ob Studio-Boss oder Konzertagent, wirken entspannt. „Das Produkt heißt Jazz – wir schieben es auf die europäische Ebene“ sagt Ulrich Beckerhoff. Glauben darf man, dass mit der Produkt-Idee nicht gemeint ist, ab jetzt leicht konsumierbare Stangenware zu produzieren. Vielmehr geht es um eine neue Offenheit und ein neues Selbstbewusstsein. Beides kann dem Jazz nur gut tun.