Glückseligkeit, nur zur Hälfte ausgelebt

Trotz neuem Geläuf und zwei Stürmer-Toren (!) kann der HSV gegen Dortmund zu Hause nicht gewinnen. Die 4:2-Niederlage beendet auch die heeren Erwartungen, um die Meisterschaft mitspielen zu können

Die pure Glückseligkeit war noch nicht einmal zur Hälfte ausgelebt, da schlug dieses Gefühl auch schon in tiefstes Entsetzen um. Zu Beginn der 67. Minute war die Welt für das Team des Hamburger SV und seine Fans wunderschön. Ailton, sechs Minuten zuvor eingewechselt, hatte sie soeben mit dem 2:1 gegen Borussia Dortmund beschenkt. Der kleine, gedrungene, aber immer noch erstaunlich flinke Brasilianer freute sich wie ein kleines Kind, dem ein inniger Wunsch erfüllt worden war.

Der Jubel über ihren Helden erstarb den HSV-Fans unter den 56.000 Zuschauern noch auf den Lippen. Nur gute 30 Sekunden später, gerade als der Stadionsprecher die Fans dazu animierte, den Namen des Torschützen lauthals zu skandieren, schlug es auf der Gegenseite ein. Thomas Rosicky erzielte mit einem herrlichen Außenristschuss den 2:2-Ausgleich. Für HSV-Trainer Thomas Doll war dieser kurze Moment der Unachtsamkeit ausschlaggebend für die 2:4 (1:1)-Niederlage gegen das starke Team aus Dortmund.

Ob er das ähnlich sehe, ob dieser Augenblick der Knackpunkt im Spiel gewesen wäre, wollte ein TV-Journalist von Ailton wissen. Der ehemalige Bremer und Schalker, der im Winter von Besiktas Istanbul nach Hamburg gekommen war und sich bald darauf einen Kieferbruch zuzog, blickte dann mit blitzenden braunen Augen in die Kamera und bot eine dieser überraschenden Antworten, für die ihn die Fans fast genauso lieben wie für seine Spurtstärke und seine Tore. „Fußball ist der beste Sport der Welt. So ist Fußball“, ließ Ailton den verdutzten Fragesteller wissen. Noch ein breites Grinsen, dann ging Ailton in die Kabine. Alles klar, alles gesagt? Nicht ganz. (mehr über Ailton auf S. 18)

Zunächst einmal: Es war ein Klassespiel, das die Zuschauer zu sehen bekamen. Dortmund war durch Eusebiusz Smolarek (25.) in Führung gegangen, Benjamin Lauth erzielte zehn Minuten später das 1:1. Die entscheidende Situation des Spiels ereignete sich schon kurz vor der 67. Minute, in der sich die Ereignisse überschlugen. Zwar wechselte Doll mit Ailton den Torschützen zum 2:1 ein, doch er nahm dafür seinen Spielmacher Rafael van der Vaart aus der Partie. Und dies wirkte sich nachteilig auf das Spiel der Gastgeber aus.

Nach dem 2:2 fehlte dem HSV im Spiel nach vorn jegliche Kreativität. Van der Vaart hatte bis dahin gewiss keine großartige Leistung geboten, in der Schlussphase fehlte er seinem Team dennoch als Ideengeber und als Kunstschütze bei Standardsituationen. „Van der Vaart war drei Monate verletzt. Ich habe das Gefühl gehabt, dass er müde war. Es ist klar, dass man sich dann für einen frischen Mann entscheidet“, sagte Doll.

Es kam, wie es kommen musste. Durch Florian Kringe (83.) und Rosicky, der den Ball in der Nachspielzeit zum 4:2 ins leere HSV-Tor schob, entschieden die Gäste verdient das Spiel für sich. Für den HSV bleibt es dabei: Gegen Dortmund geht zu Hause nichts. Seit dem 24. Mai 1997 (2:1) haben die Hamburger in heimischer Umgebung nicht mehr gegen den BVB gewinnen können. Dortmunds Torhüter Roman Weidenfeller kostete den Erfolg genüsslich aus. „Wir waren klar die bessere Mannschaft, und die hat verdient gewonnen. Die Hamburger können so oft wie sie wollen den Rasen austauschen, sie können uns trotzdem hier nicht bezwingen.“ Christian Görtzen