Paraderolle vorwärts

Als „Lulu“ (20.40 Uhr, Arte) krönt Jessica Schwarz die gelungene TV-Adaption eines Theaterklassikers

Trümmerfilme sind die Spezialität der Produktionsfirma Teamworx. Nach ihren Event-Zweiteilern „Die Luftbrücke“, „Die Sturmflut“ und „Dresden“ läuft heute „Lulu“ – zwar bei Arte und „nur“ 120 mit Minibudget gedrehte Minuten lang, doch gehört auch die TV-Adaption des Wedekind-Dramas von 1892 zu diesem Genre – auch wenn hier keine Städte zerstört werden, sondern Leben.

Das Drama über den männlichen Eros, der am Weibe scheitert, ist seit ein paar Jahren ein Modestück an deutschen Theatern, genau wie Lulu für ihre zahlreichen Männer ein Modestück ist, ein Accessoire. Jeder gibt ihr einen anderen Namen und erfindet sie damit neu. Doch in der Theaterfilm-Interpretation von Regisseur und Drehbuchautor Uwe Janson, der schon Brechts „Baal“ verfilmt hat, ist Lulu mehr als nur Projektionsfläche für Männerfantasien. Sie will geliebt werden und zerbricht daran, dass sie nur verführen kann. Ihre Rolltreppe abwärts setzt sich in Bewegung und endet dort, wo Lulus Leben begonnen hat – in der Gosse. Ein Teufelskreis schließt sich. Aus Liebhabern sind Freier geworden. Jack the Ripper ist ihr letzter.

Die Titelrolle spielt Jessica Schwarz, die mit ihrer Darstellung der Lulu endgültig vergessen macht, dass sie mal Model und Moderatorin war. So stark wie hier hat sich die Quereinsteigerin in ihren Rollen noch nie von sich selbst gelöst – auch nicht in der Zusammenarbeit mit ihrem Förderer Dominik Graf, zuletzt bei „Der rote Kakadu“. Das nette, kumpelige Mädchen ist zu einer Schauspielerin geworden, der man auch die zwischen Vamp und Lolita changierende Lulu abnimmt. Jessica Schwarz hebt sich wohltuend von einer Reihe KollegInnen ab, die ihrer eigenen Selbstüberschätzung erliegen – und schrecklich überflüssige Bücher schreiben. Schwarz moderiert und modelt nicht mehr, plant keine Platte, sondern konzentriert sich voll und ganz aufs Schauspiel. Diese Ernsthaftigkeit wurde belohnt – mit der Rolle der Lulu, normalerweise der ersten Garde der Theaterschauspielerinnen vorbehalten.

Obwohl sie keine klassische Schauspielausbildung hat, nie Theater gespielt hat und dementsprechend großen Respekt vor ihrer Rolle hatte, wirkt keiner ihrer Sätze aufgesetzt, keiner eine Nummer zu groß. Sie fügt sich nahtlos ein in das hochkarätige Ensemble von bühnenerfahrenen Kollegen von Alexander Scheer bis Esther Zimmering.

Uwe Jansons Inszenierung vereint alle Figuren und alle drei Schauplätze der dramatischen Vorlage in einem zeitlos-surrealen Hotel mit endlos langen dunklen Fluren. Je tiefer es mit Lulu bergab geht, desto schäbiger werden die Zimmer, bis sie schließlich ganz unten (!) landet – auf dem Dachboden.

Das Leben als Haus darzustellen, ist als Regieeinfall zwar an sich kein großer Wurf, doch atmosphärisch geht die Rechnung dank des hervorragenden Szenenbilds von Olaf Rehahn doch auf. Wenn dann noch „die Rezeptionisten“ in ihren roten Pagen-Uniformen in der schummrigen Lobby sitzen, Lulu anschmachten und mit ihren traurigen Liedern das drohende Unheil vorwegnehmen, öffnet das Theater im Fernsehen dem Zuschauer das Herz – und schnürt ihm zugleich die Kehle zu. David Denk