Wieder Friedhofsruhe in Minsk

Mit einer Großkundgebung am Samstag haben die Proteste der belarussischen Opposition ihr vorläufiges Ende gefunden. Wieder schlug der Staat zu

Demonstrationen wird es von Seiten Alexander Milinkewitschs vorerst keine geben

AUS MINSK MORITZ GATHMANN

Am Samstagnachmittag bekam Alexander Kosulin zu spüren dass er den Bogen überspannt hatte: Im Minsker Stadtzentrum stürmten etwa 40 schwarz uniformierte Omon-Leute von der anderen Straßenseite auf ihn zu, stießen die Umstehenden zu Boden, rissen ihn und einige Vertraute mit sich und brausten in bereitstehenden Bussen davon. Nach einer Woche weitgehend friedlicher Proteste gegen die massiven Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen hat die Staatsmacht nun Stärke gezeigt.

Die Proteste der belarussischen Opposition haben mit einer Großkundgebung am Samstag ihr vorläufiges Ende gefunden. Etwa 7.000 bis 10.000 Demonstranten versammelten sich auf dem Janka-Kupala-Platz zum inoffiziellen „Tag der Freiheit“. Mehrere Hundertschaften Polizei und Spezialeinheiten hatten die Menge zuvor davon abgehalten, auf den Oktjabrskaja-Platz zu gelangen, wo bis zur Räumung am frühen Freitagmorgen hunderte von Studenten vier Tage in einem Zeltlager ausgeharrt hatten. Aber die Demonstranten ließen von der immensen Polizeipräsenz nicht einschüchtern: Gleich zu Anfang der Kundgebung jagten sie ein Kamerateam des Staatsfernsehens, das für das schlechte Image der Demonstranten verantwortlich gemacht wird, unter Applaus mit Schneebällen vom Platz.

Ein kämpferischer Alexander Milinkewitsch rief die Menschen zu einer „Belagerung der Festung“ der Staatsmacht und einem „friedlichen Sturm“ auf. Erneut forderte er eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen. Dazu müssten seine Anhänger in den kommenden Monaten „durchs Land ziehen und den Menschen die Wahrheit erzählen“. Er beschwor die Einigkeit der Opposition.

Allerdings wurden die Meinungsverschiedenheiten zwischen Milinkewitsch und seinem bisheriger Koalitionär Alexander Kosulin schon während der Kundgebung deutlich. Während Milinkewitsch den friedlichen Charakter der Demonstration als großen Erfolg bezeichnete und die Teilnehmer gegen 15 Uhr eindringlich bat, friedlich auseinander zu gehen, forderte sein Kontrahent konkrete Taten: Er rief dazu auf, die Freilassung der festgenommenen Aktivisten zu erzwingen. Er zog mit einigen hundert Demonstranten auf dem Dserschinski-Prospekt in Richtung der Sammelstelle, wo hunderte Teilnehmer des Zeltlagers festgehalten werden.

Ein Großaufgebot der Polizei stoppte den Zug auf halbem Weg: Nach einem Verhandlungsversuch Kosulins trieb sie die Menge mit Schallgranaten und Knüppeln auseinander, mindestens acht Demonstranten wurden verletzt.

Milinkewitsch bezeichnete die Aktion Kosulins als „Provokation“ – und gab ihm die Verantwortung für die Zusammenstöße mit der Polizei. Milinkewitsch hat die Absicht, ohne Beteiligung Kosulins eine neue Bewegung zu gründen, die unter dem Slogan „Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit“ neue und faire Wahlen erzwingen will. Hauptinstrument soll eine massive Informationskampagne sein: Unter Journalisten äußerte der Oppositionsführer sogar die Idee, einen unabhängigen Fernsehkanal zu gründen.

Gegen Kosulin und andere Organisatoren der Demonstration werden vermutlich Strafverfahren eingeleitet. Innenminister Wladimir Naumow verkündete, in ihrer Tätigkeit sei „der Tatbestand eines Verbrechens vorhanden“. Kosulin warf er indirekt ein Mordkomplott gegen Praesident Lukaschenko vor: „Kosulin hat damit anfangen, zu einem gewaltsamen Sturz der Behörden, der Besetzung von Hochsicherheitseinrichtungen und der physischen Vernichtung des Staatsoberhaupts aufzurufen“.

Am Sonntag blieb in der belarussischen Hauptstadt alles ruhig. Demonstrationen wird es von der Seite Milinkewitschs vorerst keine geben: Die nächste Großkundgebung ist für den 26. April angesetzt, den 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe.

Das Schicksal der inhaftierten Aktivisten bleibt derweil unklar. Es wird erwartet, dass sie „wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung“ zu mehreren Tagen Arrest verurteilt werden. In der vergangenen Woche waren trotz des friedlichen Charakters der Proteste hunderte vor allem jüngerer Belarussen festgenommen worden. Ihnen droht nach dem Ende des Arrests der Ausschluss aus der Universität. Allerdings hat die polnische Regierung angekündigt, belarussischen Studenten Bildungsasyl zu gewähren.